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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Musik

Ein Mann des 19. Jahrhunderts

Zum Tod des Pianisten Alfred Brendel
Von Florian Neuner
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Porträts in Denkerpose: Alfred Brendel (1931–2025)

Sein weicher, kultivierter Anschlag wird ihm nachgerühmt, seine Werktreue und Klassizität. Zu seinem 85. Geburtstag kam eine gewichtige, nicht weniger als 112 CDs umfassende Box auf den Markt: Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Liszt – sonst eigentlich nichts, dafür vieles mehrfach und immer wieder von vorne. Davon, Bach auf dem modernen Klavier zu spielen, hielt Alfred Brendel nichts, und aus dem Repertoire der letzten 100 Jahre schien ihn einzig Arnold Schönbergs Klavierkonzert Op. 42 zu interessieren, das er unter Michael Gielen allerdings mustergültig aufführte. Der Starpianist war ein Mann des 19. Jahrhunderts und somit eine Idealbesetzung für den bürgerlichen Musikbetrieb: Er nervte nicht mit Zeitgenössischem wie Kollege Pollini und unterstellte seinem Publikum auch keine Entdeckerfreude wie Kollege Richter.

Der am 5. Januar 1931 in Wiesenberg (Loučná nad Desnou) in der Tschechoslowakei geborene Wahl-Londoner hatte einen altösterreichischen Hintergrund und wuchs als Hotelierssohn in Kroatien auf. Nach dem Klavierstudium in Graz und Wien debütierte er 1948 in der steirischen Landeshauptstadt. Der Sieg beim Busoni-Wettbewerb in Bozen im Jahr darauf war der entscheidende Schub für seine bald internationale Karriere. Für Vox spielte Brendel zum ersten Mal die Beethoven-Sonaten komplett ein – gediegen und preisgekrönt, aber lange nicht so aufregend wie der junge Friedrich Gulda. Später war Alfred Brendel eines der Aushängeschilder des längst im Zuge der Marktbereinigungen der letzten Jahre unter dem Dach des Monopolisten Universal untergekommenen Labels Philips, füllte als Solist weltweit die größten Säle und begleitete niemand geringeren als Dietrich Fischer-Dieskau.

Nach seinem Abschied von den Konzertpodien 2008 wurde es stiller um den Musiker, der sich den Ruf eines intellektuellen Pianisten erworben hatte, woran seine Brille und die Porträts in Denkerpose auf den Plattencovern gewiss Anteil hatten. Der US-amerikanische Musikkritiker Dave Hurwitz stellte im vergangenen Jahr die Frage »Whatever happened to Alfred ­Brendel?«, der in den Diskussionen um Klaviermusik keine große Rolle mehr spielte – und sagte voraus, dass erst sein Tod Anlass sein würde, dessen auf Schallplatte dokumentierten Nachlass neu zu bewerten. Jetzt ist es so weit.

Nachdem Brendel nicht mehr am Klavier saß, tingelte er als Vortragsreisender durch die Musikzentren. Leider hat ihm niemand gesagt, dass der Hobbylyriker Brendel seine Werke besser nur im Freundeskreis hätte zirkulieren lassen sollen. Brendels Gedichte sind keine Gedichte, sondern bemüht humorige, in Zeilen gebrochene Geschichtchen, in denen etwa Beethoven als der Mörder Mozarts enttarnt wird, sein Motiv: »Beethoven WAR EIN NEGER/und Mozart HATTE ES BEMERKT« – und stellt fest: »Für an Nega spülta netamoi schlecht«.

Diese Art von Humor trug zum Image eines Kauzes bei, der mit seinem ironischen Konservatismus gut nach Britannien passte. Brendel hat aber auch Substantielleres publiziert, Gespräche und Essays über die Musik, mit der er sich Zeit seines Lebens intensiv befasst und zu der er auch etwas zu sagen hatte. Auf Englisch erschienen die gesammelten Aufsätze unter dem schönen Titel »Music, Sense and Nonsense«.

Der Dichter Chris Bezzel, ein Mann des 20. Jahrhunderts, notierte einmal: »hermann hesse schreibt im ›steppenwolf‹, daß die musik von händel (oder haydn) auch durch die verzerrung durch den lautsprecher ›göttlich‹ bleibe. das kann man auch sagen, wenn der grausliche klassizist alfred brendel beethoven spielt.« Ich werde Alfred Brendel niemals verzeihen, dass er die Exposition im Kopfsatz von Schuberts Klaviersonate D 960 nicht wiederholte und, anders als Swjatoslaw Richter, vor den beunruhigenden Weiten dieser musikalischen Landschaft zurückschreckte – vielleicht, weil sie weit ins 20. Jahrhundert weisen. Er verstarb am 17. Juni in seiner Wahlheimat London.

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