Die Schrecken der Welt
Von Arne Schott
Mitten im ersten Durchlauf des neuen Propagandhi-Albums musste ich pausieren, denn ich war mit dem Gefühl einer plötzlichen Melancholie beschlagen und dachte: dass diese Band solche Gefühle bei dir auslösen kann. Den Gedanken musste ich korrigieren: Das Gefühl, diese Wunde, war die ganze Zeit schon da, nur rief mir aus den Lautsprechern einer entgegen: »Scheiße, du blutest ja!«
Das ist kein Textauszug vom Album »At Peace«, sondern der Subtext aller Tracks einer linksradikalen Band, die – wie ich – mit Entsetzen dem kriegerischen Treiben der Nationalstaaten und ihrer radikalisierten Völker zusieht, und sich eingestehen muss, dass alle jugendlichen Hoffnungen auf eine Aufhebung der elenden Verhältnisse haltlos waren. Wer sich das sagen muss, kann einknicken.
Und so wurde der Langspieler sehr introspektiv. Und Introspektion übersetzt sich aktuell üblicherweise mit »ideologischer Unrat«. Gerade in einer linken Szene, die sich in psychologischer Nabelschau selbst übertrifft, entsprechend der Maßgabe »Je mehr ich an der Welt leide, desto gerechter ist mein Seelenhaushalt«. Aber hier ist das nicht selbstfixierte Pose. Hier zündet der Text vom Titeltrack »At Peace«: »Motherfucker, I’m resourceful, resilient. I power through the waves of disappointment. Maybe not quite thriving but I’m buoyant. I am at peace« – nur eben nicht mit diesen Verhältnissen, wie der Rest vom Text klar macht.
Wer die Social-Media-Präsenz von Propagandhi in den vergangenen Monaten verfolgte, der bekam weniger den Eindruck, eine Band in der Promophase eines Albums als vielmehr eine Dokumentation der Greuel des Gazakrieges zu begleiten. Schon der düstere Auftakt mit »Guiding Lights«, mit seinem schwer atmenden Riff, spiegelt den Schrecken solcher Weltnachrichten musikalisch.
Und mit jedem neuen Album macht die Band einem wie mir – mit seiner musikalischen Heimat in der Punkszene – deutlich, was das ganze Soundinstrumentarium von Metal kann. All die Düsternis, Komplexität, Geschwindigkeit und Wucht taugen eben nicht nur dazu, macho-misantrophe Phantasieklischees zu transportieren. Als Vehikel für politisch narrativ gekonntes Songwriting hat das seine Berechtigung.
Insgesamt sind die Songs nicht mehr so treibend wie auf dem letzten Album »Victory Lap«, aber immer noch progressiv mit interessanten Riffs; nun sind auch noch Elemente schleppender heavy music oder auch klassischer Rockmusik inkorporiert. Das schafft viel Raum für das kreative Bassspiel von Todd Kowalski.
Textgehalt und musikalische Form kleben in manchen Liedern so eng zusammen, dass häufige Wechsel der einzelnen Parts drastisch die Stimmung des Songs justieren. Viele Texte sind lustig absurd und bleiben so im Gedächtnis. In »Prismatic Spray (The Tinder Date)« sitzt der Protagonist mit seinem Rendezvous auf einem Fahrgeschäft im Vergnügungspark und bekommt Zweifel am ideologischen Denken in der westlichen Welt. Leider sterben beide dann durch eine Atomexplosion, aber, hey, »It really wasn’t so bad as far as Tinder dates go«.
Besonders großartig gelingt das Songwriting bei dem Song »Cat Guy« (ein Songname, den ich anfangs für unglaublich stupide gehalten habe). Da spottet Sänger Chris Hannah über Moraldilemmata: »If baby Hitler and your family dog were both found drowning in a lake and you could only rescue one because – well, that’s never really been explained.« Das Ganze wird dann weitergetrieben, nur um dann in einen melancholischen C-Teil zu gleiten, der mich derart unvorbereitet erwischt hat, dass ich unterbrechen musste (s. o.). Die Auflösung ist so konsequent und folgerichtig, dass ich widerrufen muss. Der Titel »Cat Guy« ist zwingend.
»Benito’s Earlier Work« nimmt sich die Mussolini-Biographie vor und stellt die Frage nach Militanz: »My only remaining goal was to leave this world without actually killing someone. I find myself harbouring doubts.« Die rechtsautoritären Staatsführer sind Zielscheiben – gut. Aber in dieser Frage bin ich nicht bei Propagandhi, sondern bei Reinhard Kühnl. Es handelt sich beim Faschismus nicht um »mankind’s default mode«, sondern um eine Form bürgerlicher Herrschaft. Insofern ist der Individualterrorismus zwar nicht ohne ästhetischen Wert, aber gesellschaftlich gesehen zwecklos und damit abzulehnen.
Dieses Hadern ist es jedoch, was »At Peace« glänzen lässt. Enttäuschung, Wut, Verzweiflung bilden den geteilten Gefühlshaushalt der Linken in den imperialistischen Zentren, da gedeiht keine Aufbruchsstimmung. »It might seem I’ve lost my way, I’m just out here searching, reviving the spirit I had, moving on – not returning« – Aber so ließe sich immerhin voranschreiten.
I am at peace – nur eben nicht mit diesen Verhältnissen!
Propagandhi: »At Peace« (Epitaph)
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