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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 10 / Feuilleton
Landlust

Schuhe

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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»Da kannst hier fei was trinken.« – »In einem Bekleidungsgeschäft?« – »Ja! Schau halt ’nei’!« (Schwabach)

Lerd fuhr pünktlich vor. Er trug eine arschcoole Sonnenbrille, so à la manière de Tom Cruise.

Er klappte das Dach seines weißen Sportcoupés aus, und wir surrten los. Ich öffnete ein Reise-Gutmann und glotzte in die Gegend. Mir fiel zum ersten Mal seit längerem wieder auf, was für eine wohlgeratene Kulturlandschaft sich östlich von Neuendettelsau erstreckt.

Die Windräder hinter Reuth hätte ich gern eigenhändig aus dem Erdreich gerissen. Aber dann: Moosbach, Brunn, Kettersbach, Rudelsdorf, Haag (bei Roth), Schwabach.

Ein Turmfalke stand rüttelnd in der brütenden Luft. Weiche Waldwölbungen, über Kilometer keine Bebauung. Das Grün in Saft und Fülle. Graziöse Fluchten, schattige Täler, lauschigste Opulenz, Lichtspiele in unbeachteten Ecken, der Himmel weitete sich von Minute zu Minute mehr.

Schlafende Weizenfelder, Mais, der sich noch deutlich nähren musste, Gräsermeere. Alte Eichen säumten unseren Weg, Büschlichkeitsarrangements, gewebte Raine. Feldlerchen sangen. Leicht ausfransende Linien pünktelten die Kiefernwälder in den Horizont. Das Gutmann mundete, es war eine stille Feier des Kreatürlichen.

Wir parkten am Rande der Innenstadt jenes Ortes, in dem meine Mutter vor drei Monaten verstorben war. Lerd hatte bei Mode Frenzel schwarze Turnschuhe bestellt, die er »für repräsentative Zwecke« brauche, wie er sagte, »zum Beispiel für a Hochzeit nächste Woch’«.

Ich rauchte draußen eine. Lerds Schuhsache zog sich allerdings hin. Er kam und kam nicht wieder raus aus dem Laden. Nach einer halben Stunde trat er durch die Tür und meinte: »Da kannst hier fei was trinken.« – »In einem Bekleidungsgeschäft?« – »Ja! Schau halt ’nei’!«

Mode Frenzel in Schwabach verfolgt ein integrales Eventshoppingkonzept. In der Mitte des Verkaufsraums steht ein edler, nußbrauner, von Regalen voller Weinflaschen flankierter Tresen. Zudem offeriert man hochgeistige Getränke. Bier ist nicht im Angebot, denn, erklärte mir der Boss: »Die Leut’ trinken morgens kein Bier mehr, da trinken die nur noch Whisky und Wein.«

Ich gönnte mir einen fünfzehn Jahre alten Dalwhinnie-Single-Malt. Im Hintergrund vollführte Lerd endlose peripatetische, federnde Schuhkaufabwägungsprobierbewegungen. Derweil unterhielt mich der Chef mit volksgruppenkundlichen Einsichten, etwa: »Die Oberpfälzer halten des Geld z’samm – und wie!«

Hernach goutierten wir in der erstaunlich schönen, vom fränkischen Sandstein geprägten Altstadt einige Weizen. Das blattvergoldete Dach des Rathauses glitzerte. Der markgräfliche Brunnen ruhte stolz in sich, die Goldschlägerstadt zu ehren, die Weltruhm genießt.

»Schwabach g’fällt mer fei besser als Ansbach«, sagte der Lerd, während wir übers Wirtefest auf dem Martin-Luther-Platz zurück zum Sportcoupé schlenderten. Ich erblickte zwei umwerfend, geradezu aufreizend hübsche junge Damen in Jeansshorts – vermutlich Zwillinge – und erwiderte: »Hast recht.«

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