Verfassungsbruch im Festzelt
Von Rike Veseli, Bad Vilbel
Äppelwoi, Handkäs und »Tornado«-Kampfjets: Vergangenes Wochenende hat der 62. Hessentag in Bad Vilbel stattgefunden. Für Sonntag, den die vorherige Bundesregierung als »Veteranentag« auserkoren hatte, war Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) in das Festzelt der Bundeswehr geladen, um die vermeintlichen Verdienste aktiver und ehemaliger Soldaten zu adeln. Plötzlich ertönte ein Pfiff, auf den hin Dutzende Antimilitaristen mit Banner, Trillerpfeifen und Megaphonen den Eingang des Zelts blockierten. Mit Rufen wie: »Nie wieder Wehrpflicht« durchbrachen sie die Kriegspropaganda auf dem Hessentag – bis sie gewaltsam von den Soldaten und der Polizei zum Schweigen gebracht wurden.
Vermarktet wurde der Hessentag wie jedes Jahr als Mischung aus Familienfest, Jahrmarkt und Kulturveranstaltung. Angebote für Klein und Groß sollten die »Kultur, Traditionen und Menschen des Bundeslands Hessen in den Mittelpunkt« stellen. Statt typisch hessischer Gerichte, Musik, Vereine, Handwerkskunst und derlei mehr fanden die Besucher jedoch vor allem hessische Staatsdiener vor: Justiz-, Polizei- sowie Zollbeamte und Feuerwehrleute auf der »Blaulichtmeile« – oder gleich Militärs. Was mobile Gefängniszellen, eine Feldküche und Panzer mit hessischer Kultur zu tun haben sollen, weiß wahrscheinlich nur der Magistrat der Stadt Bad Vilbel, der den diesjährigen Hessentag ausgerichtet hat. Womöglich erkennt dieser hessische Kultur vor allem in den jeweiligen Instrumenten der staatlichen Repressions- und Gewaltapparate.
Die jungen Gäste hat es nicht gestört. Vielmehr zog sie der Bundeswehr-Spielplatz in seinen Bann. Ausgestellt waren dort Kampfjets, Helikopter und anderes militärisches Großgerät, die unter Anleitung aufgeschlossener, gesprächsbereiter Soldaten erklommen und besichtigt werden konnten. Die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Eine »Welt voller Action und Abenteuer« hatte die Bundeswehr vorab versprochen und damit an die Werbekampagnen der vergangenen Jahre angeknüpft. Das Militär sei ein attraktiver, vielfältiger und abenteuerlicher »Arbeitgeber«, der aussichtsreiche Berufsperspektiven biete, lautet die zentrale Botschaft.
Gegen diese subtile Militarisierung im Gewand eines Volksfests setzten sich die Aktivisten zur Wehr. Doch die anwesenden Soldaten gingen schnell zum Angriff auf die friedliche Blockade über. Um die Antimilitaristen vom Eingang des Festzelts zu vertreiben, bildeten die Soldaten Reihen, nahmen Anlauf und stießen den Blockierenden mit voller Kraft in den Rücken. Die Blockade blieb eine Weile standhaft, während Reden gehalten wurden. Nach einigen Minuten wurden die Aktivisten schließlich zu einigen aufgestellten Biertischen gedrängt, wo sich ihrer die anwesenden Polizisten annahmen. Die Antimilitaristen wurden zwischen Bundeswehr-Zelt und Essensbuden eingekesselt, setzten ihren Protest aber fort. Als ein Polizist der Rednerin das Megaphon aus der Hand schlug, drohte die Situation zu kippen. Die Aktivisten bewegten sich darum im Einvernehmen mit der Polizei gen Ausgang.
Die »Hessenschau« des Hessischen Rundfunks ordnete am Sonntag abend ein: »Die Soldaten sorgten schließlich selbst für Ordnung«. Allerdings darf die Bundeswehr laut Grundgesetz nicht im Innern gegen die Bevölkerung eingesetzt werden. Zur Auflösung von Demonstrationen ist sie nicht befugt. Fraglich ist somit, ob die Auflösung der Blockade nicht Aufgabe der Polizei gewesen wäre. Primär ist die Bundeswehr für Landesverteidigung und Kriegführung zuständig. Die dennoch gewaltsame Reaktion kann als weiteres Indiz für die voranschreitende Militarisierung gesehen werden. Von den Besuchern zeigte kaum jemand Verständnis für den Protest. Einige applaudierten sogar, als die Soldaten ihre Befugnisse überschritten. Einmal mehr wurde deutlich, dass die umfassende Bundeswehr-Präsenz – vom Hessentag, über Außenwerbung, bis zu Sendungen wie »Die Rekruten« im Netz – bereits Wirkung zeigt.
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