Stahlhelmfeminismus
Von Arnold Schölzel
Seine eigene Vergangenheit als Kriegshetzer und -führer von 1999 hat Joseph Fischer (Jahrgang 1948) erfolgreich verdrängt – wie das ehemalige und gegenwärtige Regierungspersonal in Berlin insgesamt, vom Medientross nicht zu reden. Im Spiegel vom 7. Juni fragen ihn die Redakteure Lukas Eberle und Fiona Ehlers: »Sie waren für ein Ende der Wehrpflicht und gegen Atomwaffen. Nun fordern Sie massive Aufrüstung und atomare Schutzschirme. Wundern Sie sich manchmal über sich selbst?« Das veranlasst den früheren Steine- und Bombenwerfer: »Ja, das kommt vor. Denn die Welt hat sich auch radikal verändert. Donald Trumps Wiederkehr, die Einsamkeit Europas und ganz entscheidend: Russlands Überfall auf die Ukraine, also die Rückkehr der Gewalt, von Krieg in das europäische Staatensystem.« Im Haus des Henkers einiger tausend jugoslawischer Zivilisten reden Spiegel-Angestellte nicht vom 1999er Krieg, sondern schauen auf den nächsten: »Wie muss eine Aufrüstung konkret aussehen?« Fischer: »Ich bin der Meinung, dass wir wieder eine Wehrpflicht brauchen.« Die emanzipativen Redakteure: »Sollte eine Wehrpflicht in Ihren Augen auch für Frauen gelten?« Fischer: »Beide Geschlechter sind gefragt. Entweder wir haben die Gleichstellung, oder wir haben sie nicht.«
Das Spiegel-Plansoll beim Kampf um weibliche Kriegstüchtigkeit ist damit nicht erfüllt. In derselben Ausgabe des ehemaligen Nachrichtenmagazins zeigt Stefanie Lohaus (Jahrgang 1978) unter dem Titel »Frauen an die Waffen. Demokratie verteidigen heißt Verantwortung übernehmen – auch für Frauen. Eine Wehrpflicht für alle könnte die Gesellschaft stärken« dem grünen Bomber- und Panzerpatriarchen, was ihm fehlt: Kinder im Kanonenfutteralter. Lohaus wird vorgestellt als »Mitglied der Geschäftsführung der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft und Mitgründerin des feministischen Missy Magazine«. Auch sie leidet wie der 20 Jahre ältere Fischer an dem politisch bedingten kollektiven Alzheimer, wonach es das Jahr 1999 mit der ersten deutschen Teilnahme an einem Angriffskrieg seit 1945 nie gegeben hat. Das Mittelalter soll ja nach Auffassung besorgter, aber alternativ informierter Bürger auch 300 Jahre kürzer gewesen sein als von Historikern beschrieben.
Lohaus folgt jedenfalls dem 20 Jahre älteren Fischer ins Verdämmern und in den Phantomzeitwahn: »Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat brutal vor Augen geführt, dass imperiale Angriffskriege auch in Europa möglich sind.« Jugoslawien-Krieg? Nie gehört. Fest steht: Der NATO-Angriff auf Jugoslawien hatte 1999 Russland brutal vor Augen geführt, dass der westliche Imperialismus keine Abstriche an seinen Eroberungszielen macht. Der damalige russische Ministerpräsident Jewgeni Primakow – im Hauptberuf ein international angesehener Orientalist und Experte für Außenpolitik – war am 24. März 1999 gerade im Anflug zu einem Staatsbesuch in Washington. Als die Nachricht vom NATO-Angriff kam, ließ er sein Flugzeug über dem Atlantik umkehren. Er wusste, wer gemeint war.
Lohaus weiß das auch und will daher Wehrpflicht für alle. Neben allerhand staatsbürgerkundlichem, besser: volksgemeinschaftlichem Blabla wie zum Beispiel »Wehrpflicht für alle« mache »deutlich, dass Gleichstellung nicht nur ein Privileg ist, sondern auch eine Verpflichtung«, lässt die Stahlhelmfeministin zum Abschluss Muttertierisches ab: »Ich habe einen Sohn und eine Tochter, keiner von beiden soll jemals im Krieg kämpfen müssen. Sollte es aber doch dazu kommen, würde ich mir die Frage stellen: Warum sollte mein Sohn sein Leben riskieren müssen – und meine Tochter nicht?« Wenn schon mit und für Rheinmetall sterben, dann bitte alle. Wegen der zufälligen Herkunft aus demselben Bauch.
Wenn schon mit und für Rheinmetall sterben, dann bitte alle. Wegen der zufälligen Herkunft aus demselben Bauch
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