Lüneburger Land der Ideen
Von Helmut Höge
Die Lüneburger Heide ist zu einer Anhäufung von Edutainmentparks geworden. In Thomas Pynchons Roman »Die Enden der Parabel« (1973) kommen die Überlebenden eines Herero-Schwarzkommandos nach 1945 in der Lüneburger Heide zu der Einschätzung, dass die militärpolitische Konfrontation im Zweiten Weltkrieg nur ein Scheingefecht war, ein Manöver, um einer neuen (intelligenten) Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Diese wurde ein Jahr später auf den Macy-Konferenzen in den USA mit den Begriffen »Computer« und »Gentechnik« benannt.
In der Lüneburger Heide wollte der dort lebende Schriftsteller Herrmann Löns vor dem Ersten Weltkrieg mit seinem Roman »Wehrwolf« (1910) beweisen, dass die bäuerliche Grausamkeit gegenüber Fremden dort nicht nur der Selbstverteidigung dient, sondern zu ihren wahren und echten Werten gehört. Der 1993 gestorbene Alfred Toepfer war der größte Getreidehändler Europas und sammelte Bauernhöfe wie andere Leute Briefmarken, daneben gründete er eine gemeinnützige Stiftung nach der anderen. Die meisten dienten zur Subventionierung völkischer Aktivitäten, dafür stellte der ehemalige Freikorpskämpfer für den Kampf gegen den Kommunismus alte SS- und SD-Kameraden ein. Ähnlich wie der Gründer des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, dessen Geheimdienstkollege Alfred Toepfer im Krieg war.
Nachdem Toepfer 1954 den Vorsitz im Verein Naturschutzpark in der Lüneburger Heide übernommen hatte, verkündete er seine ehrgeizigen Pläne, 25 Naturparks in Deutschland zu schaffen. Schon zehn Jahre später war dieses Ziel mit 30 Naturparks mehr als erfüllt. Da seine Mutter von einem Hof aus der Lüneburger Heide stammte, hatte Toepfer zu dieser Region ein besonderes Verhältnis. Mit Mitteln aus der Alfred-Toepfer-Stiftung F. V. S. kaufte der Verein Naturschutzpark auch den alten Heidebauernhof Möhr, den er für den Betrieb einer Naturschutzakademie zur Verfügung stellen wollte. Ihrem Gründungsvater Alfred Toepfer zu Ehren wurde die ehemalige »Norddeutsche Naturschutzakademie« 1995 in »Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz« umbenannt.
Trotz aller Erhaltungsmaßnahmen in der Lüneburger Heide schmolz der Bauernstand dort ebenso zusammen wie die Heide selbst. Immer weniger Bauern bewirtschafteten immer größere Höfe. Aus dem letzten Heiderest, etwa 200 Quadratkilometer, hatte man bereits 1906 einen geschützten Naturpark und ein beliebtes Ausflugziel gemacht.
Je weniger Bauern, desto mehr Edutainment: Die Lüneburger Heide ist in Europa die Region mit den meisten Freizeitparks. Kürzlich besuchte ich den »Weltvogelpark« in der »Herrmann-Löns-Stadt Walsrode«. Die Anlage gehörte lange Zeit dem belgischen Gartencenterkonzern Floralux. 2019 verkaufte der sie an den spanischen Betreiber Parques Reunidos, der 2003 von der US-Private-Equity-Gruppe Advent International übernommen wurde, die solche Anlagen weltweit betreibt. 2007 übernahm die britische Private-Equity-Gruppe Candover Investments den Vogelpark Walsrode, der die weltgrößte Sammlung von Vögeln beherbergt.
Es gibt daneben auch noch den »Serengeti-Park Hodenhagen«, der einer US-Betreibergruppe gehörte und 1982 vom Geschäftsführer des Parks übernommen wurde. Ferner den »Erse-Park« in Uetze, in dem pädagogisch wertvolle Mammuts und Dinosaurier stehen. Den »Wildpark Lüneburger Heide« in Nindorf, einer der größten deutschen Tierparks. Dann den 1969 gegründeten »Wildpark Schwarze Berge« in der Gemeinde Rosengarten – mit Wisenten und Braunbären. Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang auch den »Filmtierpark Eschede« sowie den »Wildpark Müden« in der Gemeinde Örtze, in dem es »einheimische Tiere und Vögel« zu sehen gibt. Zu all diesen Edutainmentanlagen gehört schließlich auch noch das »Otterzentrum Hankensbüttel« – ein »Naturerlebniszentrum« am Isenhagener See. Dort leben Fischotter und verwandte Marderarten. 2006 wurde das Otterzentrum als einer von »365 Orten im Land der Ideen« ausgezeichnet. Dazu zählt auch die Lüneburger Heide.
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