Durch die Augen des Fahrers
Von Fabian Lehmann
Ich gönne mir selten eine Taxifahrt. Allein schon, wie man sich in dieser künstlich-intimen Atmosphäre verhalten soll … Mit dem Fahrer ein Gespräch über Belanglosigkeiten beginnen? Schweigen? Im Taxi von Zandile und Bernard Darko sind die Aufgaben praktischerweise klar verteilt. Zandile befragt ihren Vater über sein Leben, Bernard erzählt und wir Fahrgäste hören zu.
»Taxi Darko – Autohistoria on Tour« nennt Theatermacherin Zandile Darko ihre Vorstellung, genauer: die ihres 68jährigen Vaters. Der fährt seit 30 Jahren Taxi in Hamburg. Zu sechst sitzen wir Zuhörer im Großraumwagen, dazu Fahrer und Beifahrer. Letzterer hatte uns eben eingewiesen: Eine Stunde dauert die Fahrt durch Hamburgs Straßen, Endstation ist der Hinterausgang des Tanztheaters Kampnagel. Nun sitzen wir in der überschaubaren Taxitheaterzelle und folgen via Lautsprecher dem Gespräch zwischen Tochter und Vater, Bernard Darko erzählt anekdotisch seine Lebensgeschichte.
Dass er einmal in Hamburg Taxifahrer sein würde, habe er sich nie träumen lassen, damals 1979 in Ghana, wo seine Reise beginnt. Die führt ihn zunächst nach Nigeria, weil es dort Arbeit gibt. Angekommen, hört er von Europa und wer alles schon dort sei. Von der DDR erhält er gegen Geld ein Visum und gelangt über Umwege schließlich nach Hamburg. »Das ist meine Geschichte, von Armut, ganz Armut. Ohne gar nichts«, sagt er, ohne dass es klingt, als sei er auf Mitleid aus.
Während Bernard Darko erzählt, mal auf Englisch, mal auf Deutsch, mal in seiner Muttersprache Twi, schlägt Regen gegen die Taxischeiben, ziehen Autos, Häuser, Menschen vorbei. Hier drinnen konzentriert sich alles auf die Worte. Und die Musik. Fela Kutis »Teacher don’t teach me nonsense« ist der Soundtrack dieser Geschichte. Zandile Darko möchte ihr Stück als »Autohistoria« verstanden wissen, angelehnt an Gloria Anzaldúas Idee, die eigene Biographie als Gegenentwurf zu dominanten Erzählungen zu plazieren. Als Selbstermächtigung in einer Geschichte, in der taxifahrende Immigranten nicht vorgesehen sind.
Genau so erzählt Bernard Darko sein Leben. Dass er – Vater von drei Töchtern – in Deutschland einmal vor Gericht stand und dem Richter klarmachen musste, dass er und seiner Frau keine Scheinehe führen. Vielsagend auch der Disput zwischen Tochter und Vater darüber, weshalb Ghana trotz des Reichtums an Bodenschätzen nicht prosperiert. Für Bernard Darko ist es das Zeugnis mangelnder ghanaischer Selbstverantwortung, für die Tochter die Folge europäischer Kolonisierung und rassistischer Abwertung, die Afrikaner glauben machte, sie seien Tiere.
Vater und Tochter teilen nicht dieselbe Muttersprache, immer wieder ringen sie darum, sich gegenseitig zu verstehen. In den besten Momenten verschmelzen Biographie und Globalgeschichte, blickt man kurz auf die Vergangenheit durch die Augen Bernard Darkos. Doch die Inszenierung bleibt etwas fleischlos, weil die Stimmen aus dem Lautsprecher zwar zu uns sprechen, der Mensch Bernard Darko in seiner physischen Gestalt aber verborgen bleibt. Dramaturgisch ist das Stück auf das Wesentliche konzentriert: das Gespräch zwischen Tochter und Vater. Damit beschränkt es sich aber auch in den Möglichkeiten. Über Fahrer und Beifahrer erfahren wir nichts. Auch nichts über den Weg, den das Taxi nimmt. Die Fahrt über Hamburgs Straßen scheint sich selbst genug. Am Ende sind wir wieder dort angekommen, wo die Fahrt begann. Im Ohr klingt Fela Kuti nach und im Geist der Vorsatz, einmal wieder die eigenen Eltern zu fragen, wie das eigentlich war. Damals.
Wegen der großen Nachfrage soll es zwischen 25. und 28. September 2025 auf Kampnagel eine weitere Vorstellung geben. Der Vorverkauf startet Anfang August
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