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Aus: Ausgabe vom 06.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kulturpolitik

Weimers Sorgen

Der Kulturstaatsminister warnt
Von Peter Merg
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Bronzekopie der Venus Medici

Kulturstaatsminister und Kanzlerkumpel Wolfram Weimer sorgt sich mal wieder. Natürlich um die Freiheit, nun auch die der Kunst. Aber nicht wegen der Ausladung und Bannung von Künstlern, denen nicht einleuchtet, weshalb Gaza zur Wüstenei gebombt wird oder warum man weiter Waffen an die Ukraine liefern sollte. Worunter die Musen leiden? Wer Weimers konservatives Gegreine aus Talkshows kennt, kann es sich denken: »Die freiheitsfeindliche Übergriffigkeit der Linken hat in der Cancel Culture ihr aggressives Gesicht«, schreibt Weimer in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung (Donnerstag). Jüngstes Beispiel sei die Entfernung des Replikats einer Venus-Statue aus einer Berliner Behörde wegen vermeintlicher Frauenfeindlichkeit. »Es ist nicht übertrieben, von einem Akt kulturferner Ignoranz zu sprechen.« Im konkreten Fall soweit richtig, doch ein Kenner wie Weimer nutzt die Gelegenheit zum Griff in die kulturgeschichtliche Trickkiste: Die simple Gleichung, weibliche Nacktheit sei per se sexistisch und habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen, wirke »wie das Credo eines jakobinischen Bildersturms«. »Sein modernes Pendant, der Shitstorm, gehört mittlerweile zum festen Inventar radikalfeministischer, postkolonialer, ökosozialistischer Empörungskultur.« Wobei Weimer von Jakobinismus wie Ökosozialismus offenbar recht wenig versteht, um so mehr von Empörung.

Nun werden die Irrungen und Wirrungen gewisser, sagen wir verkürzend, identitätspolitischer Tendenzen auch in dieser Zeitung aus guten Gründen bekämpft, doch Weimer schließt kalkuliert kurz aufs Allgemeine: »In einem gesellschaftlichen Klima, dessen Taktung von linkem Alarmismus vorangetrieben wird, scheint vorauseilender Gehorsam, Bevormundung und Sprachwächtertum die Ultima ratio zu sein.« Aber – die bürgerliche Mitte liebt ihr Hufeisen – »auch die rechten und rechtsradikalen bis rechtsextremen Kulturkampfreflexe lassen nichts an Engstirnigkeit vermissen«. Da fallen dem obersten Kulturmanager des Landes nur Beispiele aus Übersee ein: etwa die Entlassung einer Lehrerin in Florida, die ihren Schülern den unbekleideten David von Michelangelo gezeigt habe. Weimers vermeintlich liberale Antwort: »Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren möglichst weiten, anstatt sie zu verengen.«

Gut gebrüllt, Löwe. Der eklatante Widerspruch zur eigenen Politik springt freilich ins Gesicht: Grenzt nicht jemand, der etwa die Documenta zensorisch eng begleiten möchte, um Fälle echten wie vermeintlichen Antisemitismus wie 2022 zu verhindern, nicht die Kunstfreiheit selbst erheblich ein? Hat jemand, der Fördermittel vergibt, nicht deutlich mehr Macht, vorauseilenden Gehorsam zu erzwingen als empörungsbereite Social-Media-Warriors? Nackte Brüste ja, Herrschaftskritik nein – so plump ist das Credo eines Kampfes um die Kunst, den Weimer beklagt, aber selbst am schärfsten führt. (pm)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (6. Juni 2025 um 15:22 Uhr)
    … und welche Art von Bildersturm ist es, wenn einer Mütze, einem Hemd, einem Tuch oder einer Fahne »Entfernung« droht? Mir fällt dafür nur »reaktionär« ein. Schließt oder schießt der Herr Weimer »aufs Allgemeine«? Eine Fähigkeit zur Schlussfolgerung traue ich ihm nicht zu.

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