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Aus: Ausgabe vom 21.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Gecancelte des Tages: Venus de’ Medici

Von Felix Bartels
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Triggerwarnung: Das ist sie

Das wird ein Gestammel, wenn mein Ur-Ur-Enkel seinen 112 Jahre alten Großvater dereinst fragt, wie das so war damals, das Leben unter den Irren. Er wird natürlich den Hinweis, dass auch seine Zeit ihre Formen des Schwachsinns pflege, als Ausrede deuten. Zu Recht, denn ich weiß beim besten Willen keine Antwort darauf, wer unseren Zeitgenossen das Nichtmehr­denkenkönnen beigebracht hat.

Es lässt sich nicht sagen, wann es aufhört, wenn man nicht mal so recht weiß, wann es eigentlich begonnen hat. Irgendwann war es kein Zeichen gedanklicher Unbeholfenheit mehr, seine Urteile mit »Ich empfinde es so« zu begründen. Im Beigepäck dieser Art Mitteilung befindet sich die passiv-aggressive Forderung, meine Empfindung sei was, das auch für jeden anderen maßgeblich sein muss. Es hat sich eingebürgert, den akademischen Lehranstalten die Schuld an dieser Denkmode zuzuweisen. Vermutlich ist es viel einfacher. Wer nicht gern denkt, braucht keine Begründungen. Nicht akademische Modekonzepte haben den Common ­sense beeinflusst, sondern umgekehrt.

Neueste Posse nun: Nach Jahrzehnten soll die Venus aus dem Eingangsbereich des Bundesamts für zentrale Dienste in Berlin-Weißensee entfernt werden. Nein, nicht die von Milo. Und auch nicht die von Bümpliz. Die der Medici, genauer eine Reproduktion aus dem 18. Jahrhundert. Beim Original handelt es sich um eine weibliche Skulptur, die subtil Scham verbildlicht, entstanden in antiker Zeit, als weibliche Akte ebenso akzeptiert waren wie männliche. Versenkt wird die Kopie jetzt in einem Museum, wo Reproduktionen eigentlich falsch abgestellt sind. Mit der geplanten Umtopfung kommt man dem Hinweis der Gleichstellungsbeauftragten des Amtes nach, ganz im Zeitgeist: erst canceln, dann prüfen. Ihre Begründung: Es gab Hinweise, die Venus werde als »sexistisch empfunden«. Na dann.

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  • Leserbrief von UD Braumann aus Basel (21. Mai 2025 um 00:01 Uhr)
    Wunderbar, daß Felix Bartels auf »W. Nuss vo Bümpliz« von »Patent Ochsner« anspielt. Hier ein schönes Video davon: https://youtu.be/3Prvkj3UWeE

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