»Wir wollen den Status quo nicht hinnehmen«
Interview: David Siegmund-Schultze
Die Initiative »Global March to Gaza« möchte die Blockade des Küstenstreifens durchbrechen. Wer ist in dieser Initiative?
Wir sind eine Graswurzelbewegung aus der Zivilgesellschaft, die sich in den zurückliegenden Wochen zusammengefunden hat und gerade sehr schnell wächst. Wir bestehen aus Einzelpersonen, nicht aus NGOs oder Organisationen. Darunter sind Ärzte, die selber in Gaza waren und auch Palästinenser aus der Diaspora. Oder Menschen wie ich, die die Blockade Gazas nicht mehr hinnehmen können. Es sind mittlerweile Delegationen aus 40 Ländern involviert. Mehr als 100 Organisationen unterstützen unsere Aktion. In Deutschland ist es etwa die »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«, der »Jüdische antifaschistische Bund«, »Palästina spricht« und »Gesundheit for Palestine«. Wir haben bereits 80 bestätigte Teilnahmen aus Deutschland und rechnen damit, dass wir auf etwa 200 kommen werden.
Was soll mit der Aktion bewirkt werden?
Wir wollen ein Zeichen gegen die humanitäre Katastrophe setzen, die den Palästinensern in Gaza von der israelischen Armee oktroyiert wurde – mit einem Marsch ab dem 12. Juni über mehrere Tage durch die Wüste von Al-Arisch in Ägypten bis an die Grenze nach Rafah. Auch um den Druck auf die Regierungen in unseren Ländern zu erhöhen, die die Menschenrechtsverbrechen unterstützen und mittragen.
Welche Hindernisse erwarten Sie auf dem Weg?
Da das ägyptische Gebiet vor Gaza eine Militärzone ist, brauchen wir die Erlaubnis der dortigen Behörden, um überhaupt an die Grenze zu Gaza zu kommen. Die größere Gefahr geht aber von der israelischen Armee aus. Falls wir Rafah erreichen, steht die unmittelbare Bedrohung im Raum, dass sie uns direkt angreifen. Wir sind uns bewusst, dass wir die Blockade nicht werden durchbrechen können. Wir wollen diesen unerträglichen Status quo aber nicht hinnehmen, deswegen bleibt das unser Ziel und wir werden auch Hilfslieferungen dabei haben. Es geht aber in erster Linie darum, darauf aufmerksam zu machen, dass am Grenzübergang Tausende von Lkw bereitstehen, mit denen die hungernde Bevölkerung im Gazastreifen versorgt werden könnte.
Die Gaza Freedom Flotilla wurde am 2. Mai vor Malta angegriffen, als sie sich in Richtung Gaza auf den Weg gemacht hat. Welche Rolle spielt die Gefahr eines solchen Angriffs bei den Planungen?
Wir sind uns alle bewusst, dass es dazu kommen kann. Mittlerweile traut man der israelischen Armee zu, dass sie nahezu überall angreifen könnte. Das ist aber kein Normalzustand. Es wäre offensichtlich ein Verstoß gegen das Völkerrecht, wenn sie uns auf ägyptischem Territorium angreifen würde. Aber Israel begeht einen Völkermord, jegliche rechtlichen Limits sind über Bord geworfen; deswegen können wir uns nicht sicher sein. Wir wollen uns aber nicht einschüchtern lassen. Dafür ist unsere Botschaft zu wichtig: Nämlich nicht nur unsere Regierungen, sondern auch große Teile der westlichen Bevölkerung anzuprangern. Die, die teilnahmslos zusehen, wieder mal wegschauen und denken, es gehe sie nichts an. Obwohl ihre Regierungen Handel mit Israel treiben, Waffen liefern und maßgeblich dazu beitragen, dass der Völkermord nicht beendet wird.
In den vergangenen Wochen scheint es in den EU-Staaten leichte Verschiebungen in der Medienberichterstattung zum Gazakrieg zu geben. Selbst Friedrich Merz spricht von einer Verletzung des Völkerrechts. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Wir gehen davon aus, dass es wie so oft reine Lippenbekenntnisse sind. Die deutsche und viele weitere westliche Regierungen haben bisher nichts unternommen, um diesen eklatanten Verletzungen des internationalen Rechts Einhalt zu gebieten. Im Gegenteil, die Verbrechen gegen die Menschheit wurden noch tatkräftig unterstützt. Deswegen ist jede Glaubwürdigkeit in Bezug auf den Gazakrieg verloren. Die israelische Regierung hat bereits vor dem 7. Oktober eine Weltkarte der Region in der UNO gezeigt, auf der es kein Palästina mehr gab. Ihr Ziel ist klar und wurde auch immer wieder genau so formuliert: Die Palästinenser sollen als Gesamtheit vernichtet oder vertrieben werden.
Melanie Schweizer ist Volljuristin, trat für die Partei MERA 25 zur Bundestagswahl an und war bis Anfang des Jahres Beamtin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (30. Mai 2025 um 21:21 Uhr)Meine Frage an Melanie Schweizer: warum wird das nicht zumindest auf europäischer Ebene koordiniert. Z. B. mit den Organisationen in Frankreich, Spanien, Italien etc.? (Sie kann mir gerne direkt antworten). Bei der Kubasolidarität sehen wir dasselbe; zwar gibt es nun länderübergreifende Initiativen, die meisten sind jedoch nach wie vor länderspezifisch. Schade.
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