Krieg nach US-Drehbuch
Von Jörg Tiedjen
Die jüngsten Spannungen zwischen den beiden verfeindeten Atommächten Indien und Pakistan sind in der Nacht auf Mittwoch auf gefährliche Weise eskaliert. »Es wurden gezielte Angriffe auf neun terroristische Infrastrukturen in Pakistan und im pakistanisch besetzten Jammu und Kaschmir durchgeführt, um die grenzüberschreitende Terrorplanung zu bekämpfen«, schrieb das Verteidigungsministerium in Neu-Delhi auf X. Das Vorgehen bei der »Operation Sindoor« getauften Militäraktion sei »gezielt, maßvoll und nicht eskalierend«, und es seien auch »keine pakistanischen Militäreinrichtungen getroffen worden«.
Islamabad stellte die Geschehnisse allerdings anders dar. Demnach wurden sehr wohl Wohngebäude und auch eine Moschee in der Regionalhauptstadt Muzaffarabad bombardiert und insgesamt 26 Zivilisten getötet und 46 verletzt, wie Pakistans Militär laut der Zeitung The Dawn mitteilte. Fünf indische Kampfflugzeuge seien abgeschossen worden, darunter drei kostspielige »Rafale«-Jets französischer Herkunft. Auch habe man indische Kampfdrohnen und indische Militärposten an der Demarkationslinie zwischen beiden Ländern zerstört. Verteidigungsminister Khawaja Asif kündigte weitere Vergeltung an. »Unsere Antwort wird umfassender ausfallen als ihr Angriff«, wird er von The Dawn zitiert.
Ausgelöst wurden die Feindseligkeiten, als Bewaffnete am 22. April im Urlaubsort Pahalgam im indischen Unionsgebiet Jammu und Kaschmir ein Massaker mit 34 Todesopfern anrichteten. Die Verantwortung übernahm eine bis dahin unbekannte Gruppe namens »Widerstandsfront«, die vorgab, sich gegen eine von Neu-Delhi betriebene Kolonisierung der überwiegend von Muslimen bewohnten Region zur Wehr zu setzen. Indien sprach allerdings von einem dschihadistischen Terrorangriff mit Beteiligung Islamabads und schloss die Grenze zum Nachbarland, wies dessen Staatsbürger aus und kündigte einen seit 1960 bestehenden Vertrag über die Nutzung des Induswassers – »kein Tropfen« solle künftig mehr nach Pakistan gelangen. Für diesen Fall aber hatte Islamabad bereits angedroht, auch von seinem Nukleararsenal Gebrauch zu machen.
Auf das pakistanische Angebot einer gemeinsamen Untersuchung des Massakers von Pahalgam ist Indien nicht eingegangen. Statt dessen schüren die regierenden Hindunationalisten um Premierminister Narendra Modi die Feindschaft gegen Pakistan und Muslime im allgemeinen. UN-Generalsekretär António Guterres warnte am Dienstag: »Die Welt kann sich eine militärische Konfrontation zwischen Indien und Pakistan nicht leisten.« China forderte seine beiden Nachbarstaaten am Mittwoch zu »Ruhe und Zurückhaltung« auf. Der indische Historiker und Aktivist Vijay Prashad kommentierte auf X: »Mit seinen Luftangriffen ist Indien dem US-Drehbuch vom Krieg gegen den Terror gefolgt, mitsamt der Sprachregelung von den ›Präzisionsschlägen‹.« Eine Ausweitung zu einem vollumfänglichen Krieg nütze »niemandem, zuletzt den Kaschmiris«.
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