4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Salzwerk in Feuchtgebiet

Deutscher Bergbaukonzern K+S will in Australien Mineralien aus Meerwasser gewinnen. Umweltschützer befürchten Schäden für Ökosystem
Von Burkhard Ilschner
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Ningaloo Reef in Westaustralien: Rohstoffklau in Ozeantiefen könnte Lebensraum possierlicher Tierchen zerstören

Die größte Meeresschutzorganisation des fünften Kontinents, Australian Marine Conservation Society (AMCS), hätte eigentlich allen Grund, richtig sauer zu sein – dennoch befleißigt sie sich ausnehmender Höflichkeit: »Liebe K + S AG«, titelt sie auf Plakaten, mit denen sie seit einigen Wochen die Innenstadt von Kassel übersät hat, »Grüße vom einzigartigen Exmouth-Golf, Ningaloo. Bitte stoppt die Pläne für euer riesiges Salzwerk, bevor ihr diesen speziellen Ort für immer beschädigt.«

Adressat des Appells ist der in der Stadt ansässige Bergbaukonzern, der früher – eindeutiger – als Kali und Salz AG firmierte und sich Anfang der 1990er mit Hilfe der Treuhand auch den gesamten Salzbergbau der einstigen DDR einverleiben durfte. Aktuell zählt K + S zu den Weltgrößten in der Branche. In Deutschland ist der Konzern vor allem in der Werra-Weser-Region seit langem wegen der Förder- und Abwässerpraktiken in der Kritik. Methoden, die er, wenngleich damals vergeblich, vor zehn Jahren selbst im Wattenmeer versuchte.

Anlass der AMCS-Plakatkampagne ist der Plan von K + S, in einem großflächigen Projekt in Nordwestaustralien Salz aus Meerwasser zu gewinnen: In riesigen offenen Becken soll Salzwasser unter Sonneneinstrahlung verdunsten. Das Vorhaben ist seit 2016 vorbereitet worden und steckt derzeit in der Phase konkreter Genehmigungen. Zwar wirbt K + S vor Ort mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Förderung umliegender Gemeinden, doch die Sache hat einen Haken: Das Gebiet, in dem die Solarsalzanlage entstehen soll – es wäre etwa so groß wie ein Drittel von Berlin – liegt am Exmouth-Golf, einer Meeresbucht am Indischen Ozean, die im Westen durch die Landzunge Exmouth von diesem getrennt ist. Zum einen erstreckt sich ozeanseitig vor dieser Landzunge das Meeresschutzgebiet Ningaloo Coast, das zum UNESCO-Weltnaturerbe zählt. Zum anderen aber hat das Welterbekomitee der UN-Organisation schon vor längerem vorgeschlagen, die Meeresbucht selbst in dieses Naturerbe einzubeziehen. Eine Genehmigung der K + S-Anlage würde folglich einem Affront gegenüber der UNESCO gleichkommen.

Das Schutzgebiet Ningaloo Coast ist laut AMCS vor allem geprägt durch das gleichnamige Korallenriff, das für seine Wale und Walhaie berühmt sei. Es grenzt an den Cape Range National Park, der sich über die westliche Seite der Landzunge entlangzieht, nebenan liegen Einrichtungen der Air Force sowie einer, so der Anspruch, Ökotourismuswirtschaft. Über Süd- und Ostufer der Bucht aber erstreckt sich eines der letzten tideabhängigen Feuchtgebietssysteme. Es bietet wichtige Lebensräume und Nährstoffe, die das marine Nahrungsnetz im Golf und damit dessen berühmte Tierwelt stützen – darunter die vom Aussterben bedrohten Sägefische und Schaufelrochen sowie Schildkröten, Dugongs, wichtige Fischarten und wandernde Küstenvögel.

Ausgerechnet in einem Teil dieses riesigen und seit langem ungestörten Feuchtgebiets sollen nun Anlagen für die K + S-Salzgewinnung errichtet werden. Nach Auffassung der Organisation AMCS bedeutet das unannehmbare Risiken für die empfindliche Umwelt und viele bedrohte Arten. Vor Jahren sei ein ähnliches Salzprojekt im selben Feuchtgebiet schon einmal gescheitert, betont die Umweltschutzgruppe – und appelliert an K + S, Planungen und Anträge zurückzuziehen. Der Konzern hat zwar ökologische Rücksichtnahme zugesagt, behauptet jedoch auch, weniger empfindliche Standorte geprüft, aber keine geeigneten gefunden zu haben. Was die hiesige Werra-Weser-Anrainerkonferenz (WWA), die seit langem schlechte Erfahrungen mit der Glaubwürdigkeit von K + S machen musste, mit den Worten kommentiert: »Wir vermuten, dass dort die Grundstückspreise weniger günstig waren.« Die AMCS setzt nun ihre Hoffnung, unterstützt von einem von mehr als 15.000 Menschen getragenen Appell, auf Westaustraliens Regionalverwaltung in Perth sowie die Bundesregierung in Canberra. Ende 2024 wird eine Entscheidung erwartet.

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