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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 2 / Inland
Kampf ums Wohnen in Frankfurt

»Wir müssen den Mietpreisstopp verteidigen«

Hessen: Horrender Anstieg der Wohnkosten in Mainmetropole Frankfurt. Neubau allein löst das Problem nicht. Ein Gespräch mit Peter Feldmann
Interview: Marc Bebenroth
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… außer für Spekulanten. Demonstration in Frankfurt am Main gegen für viele unbezahlbaren Wohnraum (20.10.2018)

Die europaweiten Housing Action Days, mit denen auf massenhaft fehlenden bezahlbaren Wohnraum aufmerksam gemacht wurde, liegen hinter uns. Welche größeren Kämpfe werden denn in der Mainmetropole Frankfurt ausgefochten?

Der größte Kampf ist der gegen die horrende Mietpreisentwicklung: Wer kann sich bis zu 19 Euro pro Quadratmeter leisten? Wohnraum ist in Frankfurt auch mit einem mittleren Einkommen kaum noch zu bezahlen. Neben einem effektiveren Mietpreisstopp – der wurde erstmals bei der (städtischen, jW) ABG 2016 mit Gewerkschaften und Mieterinitiativen erkämpft – muss dringend mehr Wohnraum geschaffen werden. Leerstände muss man nutzen. Außerdem muss insgesamt mehr gebaut werden, um den großen Bedarf der Bevölkerung zu decken.

Woher soll der Platz für neue Wohngebäude kommen?

Wir haben große Flächen. Zum Beispiel allein im Nordwesten wäre Platz für weit über 10.000 Wohnungen. Ebenso muss der Mietpreisstopp bei der Nassauischen Heimstätte, NH, verteidigt werden. Das ist die zweitgrößte kommunale Wohnungsgesellschaft, die mehrheitlich dem Land gehört. Es wäre eine Katastrophe, wenn Mieten wieder ungebremst stiegen. Statt dessen muss die Forderung sein, dass alle Menschen auch jenseits von Einkommensgrenzen dort eine günstige Miete bekommen. Es dürfen nicht nur für Bürgergeldempfänger und untere Einkommen bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen. Denn genau das führt zu gesellschaftlicher Spaltung und Sozialneid.

Hat der Mietwucher vor den sozialen Wohnbaugesellschaften nicht haltgemacht?

Die Vonovia wurde beispielsweise privatisiert. Auf die Vonovia AG hat man als Stadt bei Mieten keinen Einfluss. Im Zentrum des Geschäftsmodells der Aktiengesellschaft stehen die Dividenden für die Aktionäre und nicht die Bedarfe der Mieterschaft. Vonovia hat zum Beispiel den Mietenstopp wie bei der ABG nie wirklich umgesetzt. Bei der Nassauischen Heimstätte gilt der Mietpreisstopp für immerhin fünf Jahre, eingeschränkt auf eine Einkommensgrenze von etwa 84.000 Euro jährlich. Facharbeiterfamilien mit zwei Kindern und zwei Einkommen liegen da leicht drüber. Bei der öffentlich-rechtlichen GWH sollte es auch einen Mietpreisstopp geben, aber die Vertragsentwürfe liegen immer noch im Keller. Die einzige Wohnbaugesellschaft, auf die die Stadt vollen Einfluss hat, ist die stadtnahe Gesellschaft ABG mit 54.000 Wohnungen. Dort gilt der verlängerte Mietenstopp für immerhin zehn Jahre!

Sie waren als Oberbürgermeister in direkter Verantwortung. Wie haben Sie Ihre Möglichkeiten da genutzt?

Den Mietpreisstopp bei der ABG halte ich tatsächlich für einen Erfolg. Der wurde gemeinsam mit der Mieterbewegung und den Gewerkschaften hart erstritten und betrifft mit dem NH-Mietenstopp immerhin 150.000 bis 200.000 Menschen. Vor allem aber konnten wir in Frankfurt eine Sozialquote für Neubauten einführen, die es in dem Umfang in anderen Städten nicht gibt. Egal ob die Deutsche Bank oder die Stadt baut, es gilt, dass 50 Prozent Sozial- und Familienwohnungen, 15 Prozent Genossenschafts- und fünf Prozent Studenten- oder Lehrlingswohnungen sein müssen. Aßerdem konnte der Verkauf der Nassauischen Heimstätte durch eine breite Mieterbewegung verhindert werden.

Kann denn die Stadt gegen Leerstand legal vorgehen?

Es gab bis in die 1990er Jahre ein Zweckentfremdungsverbot, das in Frankfurt teilweise auch exekutiert wurde, mit Polizei und Beschlagnahmung von Wohnungen. Dies machte bundesweit Furore. FDP und CDU haben damals in der Landesregierung dafür gesorgt, dass das nicht weiterverfolgt wurde. Aber: Nach wie vor wollen Menschen den spekulativen Leerstand nicht hinnehmen und entscheiden sich für Hausbesetzungen. Dafür habe ich volles Verständnis, das werden mit der Zeit sicher noch mehr werden.

Wo Wohnraum spekulativ länger nicht genutzt wird, muss man die Eigentumsfrage stellen. Grund und Boden können laut Artikel 15 Grundgesetz vergesellschaftet werden. Die Bodenspekulation ist heute der zentrale Preistreiber und der Grund dafür, warum nicht gebaut wird. Hier bin ich ganz klar fürs Enteignen.

Peter Feldmann war von 2012 bis 2022 Oberbürgermeister in Frankfurt am Main. Er ist Sprecher der Rosa-Luxemburg-Stiftung in seiner Heimatstadt

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