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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 1 / Inland
Palästina-Kongress

Repression gegen Palästina-Kongress

Tribunal in Berlin trotz Verbots: »Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausgehebelt«
Von Jamal Iqrith
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Nach anderthalb Minuten des Beitrags von Salman Abu Sitta stürmte die Polizei den Palästina-Kongress am Freitag und verbot ihn im Anschluss

Trotz Schikanen, Einreiseverboten für Referenten sowie eines vollständigen Verbots konnte der Palästina-Kongress am Sonntag in Teilen online stattfinden. Per Livestream wurde ein »Tribunal gegen Deutschland« wegen der »Beihilfe zum Völkermord in Gaza« abgehalten sowie eine Resolution mit einem umfangreichen Forderungskatalog verabschiedet.

Am Freitag hatte die Polizei nach stundenlanger Verzögerung des Veranstaltungsbeginns während des Beitrags des palästinensischen Geographen Salman Abu Sitta den Kongress gestürmt und aufgelöst sowie für das gesamte Wochenende verboten. Die Polizei begründete das Verbot im Anschluss mit einem angeblichen politischen Betätigungsverbot für Abu Sitta, von dem die Veranstalter laut eigenen Angaben nichts wussten. Darüber hinaus ist unklar, ob ein solches auch das Abspielen von Videosequenzen abdeckt.

Einem anderen Redner, dem renommierten palästinensisch-britischen Chirurgen und Rektor der Universität Glasgow, Ghassan Abu Sitta, der den Kongressteilnehmern als Augenzeuge der israelischen Kriegsverbrechen im Gazastreifen berichten sollte, war am Freitag am Flughafen in Berlin die Einreise verweigert worden. Auch dem ehemaligen Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, der ebenfalls als Redner vorgesehen war, wurde laut eigenen Angaben am Sonnabend ein Einreise- und Betätigungsverbot erteilt.

Auf einer Pressekonferenz am Sonnabend erhoben die Veranstalter schwere Vorwürfe gegen das »autoritäre Vorgehen«. Ein Sprecher erklärte, man sehe das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit »nicht nur eingeschränkt, sondern für mehrere Tage völlig ausgehebelt«.

Am Samstag nachmittag versammelten sich Tausende Menschen am Neptunbrunnen in Berlin, um gegen das Verbot des Palästina-Kongress und für ein freies Palästina zu demonstrieren. In der Spitze protestierten laut Veranstaltern 9.000 Menschen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, es kam zu mehreren Festnahmen. Zahlreiche Bundespolitiker wie Innenministerin Nancy Faeser (SPD) lobten das Vorgehen der Polizei.

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  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (15. April 2024 um 16:06 Uhr)
    Abwarten, der Polizeiklimbim könnte zum Bumerang werden: Die Konferenz lief in der öffentlichen Wahrnehmung bis vor zwei Wochen eigentlich unter dem Radar. Durch die Heulbojen in Politik und Medien wurde die Aufmerksamkeit erst so richtig auf das Anliegen gelenkt – eine Art Streisand-Effekt. In Meinungsumfragen wird Israels Vorgehen ja auch deutlich kritischer gesehen, als es der politischen Klasse lieb sein kann. Und in ein paar Wochen ist der 1. Mai …
  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (15. April 2024 um 14:21 Uhr)
    Mit großem Interesse und Erwartung habe ich auf den Palästina-Kongress geblickt. Um so enttäuschter und wütender bin ich über die Verbotshandlungen der »schwarz-roten« Regierung in Berlin. Nach einer medienwirksamen Medienkampagne und im Bunde mit einer willfährigen Polizei wurde ein Informations- und Diskussionspodium zur Lage im Nahen Osten meinungspolitisch stranguliert. Damit wurde eindeutig und für alle sichtbar deutlich gemacht, was man partei- und regierungspolitisch unter dem Begriff Staatsräson und uneingeschränkter Solidarität mit Israel zu verstehen hat. Den Herrschenden gemäß darf es nicht einmal im Ansatz eine Diskussion zu den Ursachen des Konflikts und den verheerenden Auswirkungen auf die Menschen im arabischen Raum geben. Für die deutschen Vertreter der westlichen »Wertegemeinschaft« ist dabei nicht einmal das Grundgesetz unantastbar, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit auszuhebeln. Dabei nehmen die Staatsdiener Verhaftungen vor und Verletzte gelten wohl als Kollateralschäden.
    Nach dem Motto: »Der Zweck heiligt die Mittel« stürmte die Polizei den Kongress und bemühte als Begründung dafür sogenannte Betätigungsverbote von Teilnehmern – lächerlicher geht es kaum. Wie weit ist es noch bis zum Gesinnungs- und Polizeistaat?
    Derweil will der sozialdemokratische Bundeskanzler, ohne dabei rot zu werten, in China für die uneingeschränkte Meinungsfreiheit werben. Heuchlerischer geht es kaum!

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