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Aus: Ausgabe vom 24.02.2024, Seite 2 / Inland
Kampf für atomare Abrüstung

»Diese Raketen sind schwer abzufangen«

Pläne für US-Hyperschallraketen und Forderungen nach EU-Atomwaffen ignorieren größte Gefahr unserer Zeit. Ein Gespräch mit Bernhard Trautvetter
Interview: Marc Bebenroth
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Aktuell in der Diskussion: Marschflugkörper vom Typ »TAURUS« am Rumpf eines »Tornado«-Kampfjets über Südafrika (Bredasdorp, 28.3.2017)

SPD und Union streiten über Lieferungen von »TAURUS«-Marschflugkörpern an die Ukraine. Unmittelbar davor ging es den Parteien um ein Atomwaffenarsenal unter EU-Kontrolle. Woher rührt diese Vernarrtheit in solche hochgefährlichen Waffen?

Viele Politiker übergehen, dass der Atomkrieg neben der ökologischen Katastrophe die größte Gefahr unserer Zeit ist. Schon in den frühen Jahren der Bundesrepublik wollten Kanzler Adenauer und sein Militärminister Strauß sie für die Bundeswehr. Sie bekamen damals »nur« die sogenannte nukleare Teilhabe: Deutsche Kampfpiloten werfen im Ernstfall US-Atombomben ab. In den 1980ern überging die Schmidt-Regierung die Warnungen der Friedensbewegung vor der Gefahr einer Eskalation. Wir hatten damals das Motto »Gegen die atomare Gefahr gemeinsam vorgehen«. Das haben wir auch als Titel unseres aktuellen Appells. Wir warnen vor den Risiken, wenn diese Offensivwaffen beispielsweise als Schutzschirm verharmlost werden.

In Ihrem Appell gegen die atomare Bedrohung schreiben Sie, die Anzeichen zur Stationierung von US-Hyperschallraketen verdichten sich. Worauf beziehen Sie sich?

Deutschlands führende Zeitschrift für die sogenannte Wehrtechnik, Europäische Sicherheit und Technik, schrieb Ende 2023, die Stationierung von »Dark Eagle«-Hyperschallraketen der USA stehe für 2025 an. Dem entsprechen Informationen vom letzten bundesweiten Friedensratschlag im Dezember in Kassel. Auch die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs berichten darüber. Internationale Medien wie die Asia Times stützen dies.

Der Einsatz nuklearer Massenvernichtungswaffen kann das Ende der Menschheit bedeuten. Wie steigern jene neuen Raketen diese Gefahr?

Diese Offensivsysteme geben wegen ihrer minutenkurzen Flugzeit der gegnerischen Radaraufklärung keine Zeit, einen eventuellen Alarm zu überprüfen, geschweige denn, über eine Reaktion zu beraten. Menschliche und technische Fehler können zu einem Atomschlag führen. Diese Raketen fliegen mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit und manövrieren selbständig, so dass sie anders als ballistische Atomraketen schwer abzufangen sind. Ein konventioneller 500-Kilogramm-Sprengkopf reicht für die Enthauptung der politischen und militärischen Führung gegnerischer Staaten und für die Zerstörung weiterer Kommandozentralen und Raketensilos. Die Gegenseite könnte die Stationierungsorte von NATO-Hyperschallraketen auch atomar angreifen. Selbst ein Fehlalarm der Radaraufklärung kann zum Atomkrieg aus Versehen führen.

Sie appellieren an die Bundesregierung, eine Verhandlungsinitiative zwischen NATO und Russland zu starten. Weshalb sollte sich Berlin dazu verpflichtet fühlen?

Die Initiative für ein Abrüstungs- und Rüstungskontrollsystem sowie für den Atomwaffenverbotsvertrag entspräche dem Auftrag der Regierung, die Bevölkerung des Landes zu schützen. Es entspricht auch dem Vertrag zur deutschen Einheit von 1990, der der Bundesregierung auferlegt, sich für eine Friedensordnung der gemeinsamen Sicherheit aller Staaten in Europa einzusetzen. Selbstverständlich sind auch die russischen Hyperschallraketen brandgefährlich. Sie können beispielsweise Ramstein, Büchel oder Berlin treffen. Aber als Mittelstreckenraketen erreichen sie nicht die NATO-Hauptmacht. Anders die US-Arsenale in Deutschland.

Tatsächliche Friedenspolitik: für Kriegsprofiteure eine schlechte Nachricht.

Die, die sich für das Überleben einsetzen, haben im militärisch-industriellen Komplex einen starken Gegner. Wichtig ist, dass die Friedensbewegung ihre Aufklärung in die verwandten Bewegungen trägt. Die Hoch- und Atomrüstung verträgt sich nicht mit der Ökologie, den sozialen Bedürfnissen, der Gesundheit, Bildung und den Erfordernissen einer funktionierenden Infrastruktur.

Die Hunderttausenden, die gegen rechts seit Wochen auf die Straße gehen, sind potentielle Ansprechpartner. Das zeigt sich auch in der Losung vieler Überlebender der Konzentrationslager der Nazis: »Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!« Wenn das wieder von einer breiten Öffentlichkeit getragen wird und klar ist, dass die Ökologie des Friedens bedarf, dann kann die Macht der Militärlobby gebrochen werden.

Bernhard Trautvetter ist Autor und langjährig aktiv in der Friedensbewegung

Petition: kurzelinks.de/gegen-atomare-Bedrohung

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  • Leserbrief von OTTO HERZ aus BIELEFELD / LEIPZIG (24. Februar 2024 um 07:13 Uhr)
    Danke, danke, danke, lieber Bernhard, für Deine so klaren, so eindeutigen, so wahren, so wahrhaftigen Worte! Frieden schaffen ohne Waffen: dazu gibt es keine friedliche Alternative. Wer sagt, wer behauptet, Frieden schaffen zu wollen mit – immer vernichtenderen – Waffen, der schafft keinen Frieden, sondern bereitet latent bis aktiv den weltweiten Massenmord vor. Wir wollen den Frieden für alle Menschen in aller Welt, also weltweit, ausnahmslos, bedingungslos! Wir werden uns deshalb allen Vernichtungsvorbereitungen, mit welchen Ablenkungs- und Tarn- und Rechtfertigungsargumenten auch immer begründet, mit allen, allen, allen – friedlichen! - Mitteln in den Weg stellen! Möge Frieden, Frieden, Frieden auf Erden sein! Dieser Wunsch ist mein tägliches Morgen-, Mittags-, Abend- und Nachtgebet!

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