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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 4 / Inland
Militarisierung

Bunker, Bomben, Milliarden

Mehr Geld, Wehrpflicht, EU-Atomwaffen: Ampel und Union überbieten sich im Wettlauf um maximale Rüstungsziele
Von Philip Tassev
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Verteidigungsminister Pistorius (l.) mit Bundeskanzler Scholz (r.) zu Gast bei Rheinmetall (Unterlüß, 12.2.2024)

Die seit 2022 in der Bundesrepublik geführte Aufrüstungsdebatte im Zeichen der »Zeitenwende« nimmt von Woche zu Woche schrillere Züge an. Politiker aus Regierung und Opposition liefern sich inzwischen einen regelrechten Überbietungswettstreit um den jeweils krassesten Vorschlag. Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump im US-Präsidentschaftswahlkampf fallen vor diesem Hintergrund einmal mehr auf fruchtbaren Boden. Dessen Aussage, er wolle NATO-Staaten, die nicht mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Rüstung ausgeben, als Präsident nicht länger unter den »Schutz der USA« stellen, nahm der inzwischen nahezu täglich in Erscheinung tretende Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) sofort zum Anlass, in Form eines höheren »Sondervermögens« noch mehr Geld für Aufrüstung zu fordern.

»Es ist ja völlig klar, dass wir eher 300 statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird«, sagte er der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag. Es müsse außerdem sichergestellt werden, dass dieses Geld nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern »zweckentfremdet« werde. Am von der NATO vorgegebenen Zwei-Prozent-Ziel will er parallel zum Sondervermögen selbstverständlich festhalten: »Das geht nur mit Umpriorisierung und mit klaren strukturellen Reformen.«

Die Bedeutung von Wirtschaftswachstum für die Aufrüstung stellte derweil der FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr heraus: »Wenn es uns gelingt, mehr Wachstum zu generieren, werden wir in der Lage sein, dauerhaft mehr Geld in Verteidigung zu investieren.« Das habe in der Vergangenheit auch schon funktioniert: »Der Kalte Krieg ist damals auch gewonnen worden, weil der Westen wirtschaftlich wesentlich stärker war. Wir müssen daher alles tun, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.«

Andreas Schwarz (SPD) warb in der SZ dafür, Rüstungsausgaben gleich dauerhaft aus der sogenannten Schuldenbremse auszuklammern: »Eine Herausnahme sämtlicher Verteidigungskosten aus der Schuldenbremse hätte auf jeden Fall Charme.« Besonders betonte er in diesem Zusammenhang den Zivilschutz: »Wir brauchen viel mehr Cyberabwehr, Bunker, mobile Operationssäle, Lazarettversorgung.«

Noch eine weitere Sozialdemokratin hat die Heimatfront im Blick: Die Wehrbeauftragte des Bundes, Eva Högl, möchte eine »ernsthafte und offene Auseinandersetzung mit konkreten Ideen und Konzepten« zum Thema Wehrpflicht, wie sie in einem am Montag veröffentlichten Gastbeitrag für das Portal Table Media schrieb. Sie regte die Bildung eines »Bürgerrats« an und schlug ein »Gesellschaftsjahr« nach schwedischem Vorbild vor, weil »sich jede und jeder eine Zeitlang für unsere Gesellschaft engagieren sollte«. Um »die Bundeswehr allgegenwärtig« zu machen und »fest in der Mitte unserer Gesellschaft« zu verankern, sollten »alle jungen Menschen ein Mal Post von der Bundeswehr bekommen«, denn »dann würde sich jede und jeder aktiv mit der Bundeswehr auseinandersetzen«.

Mehr Aufmerksamkeit erhielt am Dienstag Högls Parteikollegin Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die vertrat in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit dem Tagesspiegel die Ansicht, die EU-Atombombe könne »auf dem Weg zu einer europäischen Armee« ein Thema werden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul forderte daraufhin von Bundeskanzler Olaf Scholz »Klarheit« darüber, ob das auch die Position von SPD und Bundesregierung sei: »Meint der Kanzler, dass die Abschreckung amerikanischer Waffen durch ein vergleichbares EU-Arsenal ersetzt werden kann?« Es stelle sich außerdem die Frage, wie »das angesichts der völkerrechtlichen Bindung Deutschlands überhaupt realisiert werden« soll.

Fabio De Masi, EU-Spitzenkandidat der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, rief angesichts von Barleys Äußerungen dazu auf, die Europawahl zur »Abstimmung über diesen Wahnsinn« werden zu lassen. Janine Wissler, Kovorsitzende der Linkspartei, erklärte zu den Forderungen von Kiesewetter und Barley: »Die Aufrüstungsphantasien von Ampel und CDU haben offenbar jedes Maß verloren.« Sie sprach sich in diesem Zusammenhang auch für ein »Sondervermögen« aus, »aber nicht für neue Waffen, sondern für ein zukunftsfähiges Land mit guten Schulen, Straßen und Schienen«.

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  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (20. Februar 2024 um 14:51 Uhr)
    »Der Frieden ist nicht alles, ohne den Frieden ist alles nichts« ist nicht nur ein bekannter, sondern ein sehr zutreffender Ausspruch von Willy Brandt. Am 26. März 2010 sprach sich der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend, mit großer Mehrheit, dafür aus, dass die Bundesregierung mit Nachdruck von den USA und der NATO den Abzug der US-amerikanischen atomaren Waffen aus Deutschland fordert. Dieser Beschluss wurde nie umgesetzt. Er ist ja auch nicht rechtsverbindlich. Er formuliert nur einen politischen Auftrag, wie mir das Sekretariat des Auswärtigen Amtes mitteilte. Neben massiven diplomatischen Druck der USA lehnte das Bundeskanzleramt diese Entscheidung ab. Sie hält an der atomaren Teilhabe fest. Um diese sicherzustellen, sind in den USA 35 Kampfjets F-35 bestellt. Die SPD Spitzenkandidatin Barley meint, die atomare Aufrüstung Europas könnte ein Thema werden. Weiß Frau Barley nicht, dass die vorhandenen nuklearen Waffen ausreichen, die Erde 150mal zu vernichten? Vergessen sie und die Bundesregierung, dass nukleare Waffen immer im Visier des Gegners sind und bei ihrem Einsatz ein Überleben fraglich ist?
  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (14. Februar 2024 um 10:48 Uhr)
    Im Land, das sich vor nicht allzu langer Zeit als Friedens- und Menschenrechtsstaat aller Welt zeigte, ist man wohl zur »Erkenntnis« gelangt, mit mehr und mehr Krieg, Menschen- und Völkerhass ist mehr Freiheit und Demokratie zu machen. Das erste was morgens über Medien aller Art täglich zu hören ist: Putin, Russland will uns überfallen. Ist er gar schon da, auf dem Wege und wann endlich wird er angreifen? Deutsche Strategen wissen es ganz genau. Von den Erklärungen Russlands, von Minsk und Istanbul, von den Verhandlungen wissen deutsche Medien nichts, heißt die Bevölkerung darf davon nichts wissen und wenn, dann ist es Lüge. In die großen Kriege ging es immer auf diese Art und Weise der Volksaufklärung. Allmorgendlich hören wir vornehmlich die Stimmen grüner PolitikerInnen, begleitet von Strack-Zimmermann bis zu den Kiesewetter und Co. von CDU. Siegen wollen sie wieder, Russland besiegen, sie machen daraus gar kein Hehl. Den Krieg auf russischen Boden tragen wird längst getan und mehr gefordert. Wenn das Putin ernst nimmt, dann ist großes Geschrei von Aggressor, Angreifer usw. Um deutsche Geschichte wissen Generationen heute nichts mehr, außer dass der Russe immer der Aggressor gewesen sei, immer die Welt überfallen hat. Sie glauben es auch wieder. Nach immer vernichtenderen Waffen schreien und fordern Grüne, Gelbe, Schwarze, Ampelleuchten. Nach »TAURUS«, nach Raketensystemen nun auch A-Waffen. Damit wird dann Frieden zu schaffen sein, endlich mal der Russe vernichtet, dann der Chinese und der Rest der Welt befreit. Die Logik mach manchem noch lächerlich scheinen, den Kopf schütteln lassen, an denselben greifen lassen, dennoch hatten wir das schon und am Ende die Fragenden, die unaufhörlich bis heute fragen – wie konnte das geschehen. Wer die ersten beiden Weltkrieg wollte, kann jeder wissen, Geschichte hat es erwiesen, wenn auch gern verschwiegen. Die Schmiede von Schwertern zu Pflugscharen haben in ihrer Bibel offenbar ganz andere Seiten aufgeschlagen.
    Warten wir nun auf den nächsten Krieg, blind, dumm, ahnungslos und demokratisch-freiheitlich verblödet? Wieviele Anleitungen braucht das deutsche Volk noch dazu, wie Kriege gemacht werden und vor allem in wessen Interesse? Wir haben im Ersten nur vereidigt, im Zweiten nur zurückgeschossen und im dritten ganz sicher auch nur verteidigt … und auf den Angriff der Russen gewartet.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Februar 2024 um 23:31 Uhr)
    In dieser faszinierenden Welt, geprägt durch eine absurde Logik, feiern Politiker den paradoxen Glauben, dass mehr Waffen der ultimative Schlüssel zum Weltfrieden seien. Die laufende Debatte, die unter dem Motto »Rüste dich für den Krieg, um den Frieden zu gewinnen« steht, ähnelt einem bizarren Theaterstück. Politiker eilen in einem sinnlosen Wettlauf um die kuriosesten Vorschläge, als wäre Frieden ein Luxusgut, den wir Steuerzahler unbedingt finanzieren sollten. In dieser skurrilen Inszenierung wird deutlich: Wer Frieden will, muss scheinbar tief in die Tasche greifen – eine groteske Vorstellung, die den gesunden Menschenverstand auf den Kopf stellt!
  • Leserbrief von Richard (13. Februar 2024 um 21:31 Uhr)
    Kann mich jemand abholen? Ich gehöre nicht hier her. Ich geh dann doch lieber zum Planet der Affen. Die sind zivilisierter …

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