Bunker, Bomben, Milliarden
Von Philip TassevDie seit 2022 in der Bundesrepublik geführte Aufrüstungsdebatte im Zeichen der »Zeitenwende« nimmt von Woche zu Woche schrillere Züge an. Politiker aus Regierung und Opposition liefern sich inzwischen einen regelrechten Überbietungswettstreit um den jeweils krassesten Vorschlag. Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump im US-Präsidentschaftswahlkampf fallen vor diesem Hintergrund einmal mehr auf fruchtbaren Boden. Dessen Aussage, er wolle NATO-Staaten, die nicht mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Rüstung ausgeben, als Präsident nicht länger unter den »Schutz der USA« stellen, nahm der inzwischen nahezu täglich in Erscheinung tretende Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) sofort zum Anlass, in Form eines höheren »Sondervermögens« noch mehr Geld für Aufrüstung zu fordern.
»Es ist ja völlig klar, dass wir eher 300 statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird«, sagte er der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag. Es müsse außerdem sichergestellt werden, dass dieses Geld nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern »zweckentfremdet« werde. Am von der NATO vorgegebenen Zwei-Prozent-Ziel will er parallel zum Sondervermögen selbstverständlich festhalten: »Das geht nur mit Umpriorisierung und mit klaren strukturellen Reformen.«
Die Bedeutung von Wirtschaftswachstum für die Aufrüstung stellte derweil der FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr heraus: »Wenn es uns gelingt, mehr Wachstum zu generieren, werden wir in der Lage sein, dauerhaft mehr Geld in Verteidigung zu investieren.« Das habe in der Vergangenheit auch schon funktioniert: »Der Kalte Krieg ist damals auch gewonnen worden, weil der Westen wirtschaftlich wesentlich stärker war. Wir müssen daher alles tun, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.«
Andreas Schwarz (SPD) warb in der SZ dafür, Rüstungsausgaben gleich dauerhaft aus der sogenannten Schuldenbremse auszuklammern: »Eine Herausnahme sämtlicher Verteidigungskosten aus der Schuldenbremse hätte auf jeden Fall Charme.« Besonders betonte er in diesem Zusammenhang den Zivilschutz: »Wir brauchen viel mehr Cyberabwehr, Bunker, mobile Operationssäle, Lazarettversorgung.«
Noch eine weitere Sozialdemokratin hat die Heimatfront im Blick: Die Wehrbeauftragte des Bundes, Eva Högl, möchte eine »ernsthafte und offene Auseinandersetzung mit konkreten Ideen und Konzepten« zum Thema Wehrpflicht, wie sie in einem am Montag veröffentlichten Gastbeitrag für das Portal Table Media schrieb. Sie regte die Bildung eines »Bürgerrats« an und schlug ein »Gesellschaftsjahr« nach schwedischem Vorbild vor, weil »sich jede und jeder eine Zeitlang für unsere Gesellschaft engagieren sollte«. Um »die Bundeswehr allgegenwärtig« zu machen und »fest in der Mitte unserer Gesellschaft« zu verankern, sollten »alle jungen Menschen ein Mal Post von der Bundeswehr bekommen«, denn »dann würde sich jede und jeder aktiv mit der Bundeswehr auseinandersetzen«.
Mehr Aufmerksamkeit erhielt am Dienstag Högls Parteikollegin Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die vertrat in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit dem Tagesspiegel die Ansicht, die EU-Atombombe könne »auf dem Weg zu einer europäischen Armee« ein Thema werden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul forderte daraufhin von Bundeskanzler Olaf Scholz »Klarheit« darüber, ob das auch die Position von SPD und Bundesregierung sei: »Meint der Kanzler, dass die Abschreckung amerikanischer Waffen durch ein vergleichbares EU-Arsenal ersetzt werden kann?« Es stelle sich außerdem die Frage, wie »das angesichts der völkerrechtlichen Bindung Deutschlands überhaupt realisiert werden« soll.
Fabio De Masi, EU-Spitzenkandidat der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, rief angesichts von Barleys Äußerungen dazu auf, die Europawahl zur »Abstimmung über diesen Wahnsinn« werden zu lassen. Janine Wissler, Kovorsitzende der Linkspartei, erklärte zu den Forderungen von Kiesewetter und Barley: »Die Aufrüstungsphantasien von Ampel und CDU haben offenbar jedes Maß verloren.« Sie sprach sich in diesem Zusammenhang auch für ein »Sondervermögen« aus, »aber nicht für neue Waffen, sondern für ein zukunftsfähiges Land mit guten Schulen, Straßen und Schienen«.
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Warten wir nun auf den nächsten Krieg, blind, dumm, ahnungslos und demokratisch-freiheitlich verblödet? Wieviele Anleitungen braucht das deutsche Volk noch dazu, wie Kriege gemacht werden und vor allem in wessen Interesse? Wir haben im Ersten nur vereidigt, im Zweiten nur zurückgeschossen und im dritten ganz sicher auch nur verteidigt … und auf den Angriff der Russen gewartet.