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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 7 / Ausland
G20-Treffen

Schwieriges Treffen in Rio

G20: Globaler Süden fordert mehr Mitbestimmung, doch Westen will Machtkampf gegen Russland und China austragen
Von Jörg Kronauer
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Rio, Hauptstadt der G20: Die Vorbereitungen auf den großen Gipfel im November haben begonnen (21.2.2024)

Überschattet von den eskalierenden globalen Konflikten hat am Mittwoch in Rio de Janeiro das Treffen der G20-Außenminister begonnen. Erstmals sollten Repräsentanten von nicht 20, sondern 21 Staaten und staatlichen Zusammenschlüssen teilnehmen: Zu den 19 Mitgliedsländern und der Europäischen Union ist – wie auf dem Gipfel im September beschlossen – die Afrikanische Union (AU) als Neumitglied dazugestoßen. Mit Spannung wurde auch die Ankunft von US-Außenminister Antony Blinken und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow erwartet. Sie waren sich zuletzt beim G20-Außenministertreffen im vergangenen März in Neu-Delhi persönlich begegnet. Beijing wiederum schickte nicht Außenminister Wang Yi, sondern dessen Stellvertreter Ma Zhaoxu. Das habe, hieß es, lediglich terminliche Gründe.

Brasiliens Präsident Luis Inácio Lula da Silva hatte die Schwerpunkte des diesjährigen brasilianischen G20-Vorsitzes ursprünglich auf den Kampf gegen den Hunger, Maßnahmen zum Klimaschutz und eine Reform der globalen Institutionen legen wollen. Der globale Süden fordert etwa, im UN-Sicherheitsrat, in der Weltbank und im Internationalen Währungsfonds (IWF) stärker repräsentiert zu sein. So halten die fünf ursprünglichen BRICS-Mitglieder im IWF nur 14,15 Prozent der Stimmrechte, die G7 hingegen 41,25 Prozent. Und das, obwohl die Wirtschaftsleistung der BRICS mittlerweile, bereinigt nach Kaufkraftparität, diejenige der G7 übersteigt.

Doch diese Themen drohen durch unlösbare Differenzen bezüglich der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen in den Hintergrund zu treten. Schon vor dem Treffen hatten Washington und Berlin deutlich gemacht, wie bei allen G20-Zusammenkünften seit dem 24. Februar 2022 auf eine scharfe Positionierung gegen Russland zu drängen. Dass sie sich damit durchsetzen können, gilt praktisch jedoch als ausgeschlossen. Brasília hat bereits deutlich gemacht, es werde angesichts der Streitigkeiten wohl auf eine Abschlusserklärung des Gipfels verzichten. Das belegt einmal mehr, dass der Machtkampf zwischen dem Westen und Russland internationale Formate wie die G20 empfindlich schwächt.

Heftiger Streit zeichnet sich auch für die Debatte um den Krieg zwischen Israel und der Hamas ab. Gastgeber Lula hatte kürzlich auf einem Gipfeltreffen der AU erklärt, was »im Gazastreifen mit dem palästinensischen Volk geschieht«, habe es bisher nur einmal gegeben: »Als Hitler beschloss, die Juden zu töten.« Israels Außenminister Israel Katz erklärte Lula daraufhin zur unerwünschten Person. Sein brasilianischer Amtskollege Mauro Vieira bezeichnete es am Mittwoch als »ungewöhnlich und empörend, dass ein Außenminister einen Staatschef eines befreundeten Landes auf diese Weise anspricht«. Eine Einigung über die üblichen Formelkompromisse hinaus galt im Hinblick auf die Positionen der USA und der Bundesrepublik am Mittwoch als wenig wahrscheinlich.

Gegenstand des Treffens ist nicht zuletzt die Vorbereitung der nächsten Zusammenkunft, die im November ebenfalls in Rio de Janeiro stattfinden soll. Außerdem sind wie bei allen G20-Treffen auch diesmal zahlreiche Zusammenkünfte einzelner Außenminister am Rande der Veranstaltung eingeplant. So hieß es etwa, die Außenminister Südkoreas, Japans und der Vereinigten Staaten wollten mit einem gemeinsamen Gespräch ihren Schulterschluss gegenüber Nordkorea demonstrieren – dieser richtet sich allerdings zugleich gegen China. Hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow vorab Gespräche unter anderem in Venezuela geführt, so will US-Außenminister Blinken von Rio de Janeiro aus nach Buenos Aires weiterreisen, um dort am Freitag mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei Gespräche zu führen. Milei hat angekündigt, die Außenpolitik seines Landes eng an den USA auszurichten. Berichten zufolge will er nach seinem Treffen mit Blinken nach Washington reisen und dort am Samstag auf der Conservative Political Action Conference auftreten, einer Zusammenkunft der US-Republikaner, die als Trump-nah und Treffpunkt äußerst rechts stehender Kräfte gilt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (22. Februar 2024 um 21:31 Uhr)
    Bei aller Fragwürdigkeit des israelischen Vorgehens im Gazastreifen: Lulas Hitlervergleich liegt zur Zeit wohl doch daneben, auch wenn bereits erste Nachrichten über Hungertote im Gazastreifen kursieren. Soweit Städte in jüngerer Vergangenheit erobert wurden, lagen sie hinterher regelmäßig in Trümmern, sei es Mossul oder Rakka, Falludscha oder Ramdi, Mariupol oder Bachmut. jW berichtete etwa am 31. Juli 2017 vom »Massaker von Mossul«. Auch Mittelalter und Antike kennen viele Entsprechungen. Die Eroberung Mailands durch die Goten 538 nach unserer Zeitrechnung ließ keinen Stein auf dem anderen, alle Männer wurden – nach freiem Abzug der kleinen oströmischen Schutztruppe – mit dem Schwert ermordet und die Frauen vergewaltigt und als Sklavinnen verkauft. Die Bibel kennt diverse Genozide. Soweit sind die Zustände in Gaza noch nicht. In Mossul sind die Zivilisten vor Beginn der Offensive zum Bleiben aufgefordert worden, zigtausende starben. In Gaza wird den Zivilisten immerhin die Flucht vor Beginn der Bombardements empfohlen. Klar ist: Zivile Hilfslieferungen dürfen nicht verhindert werden. Und am Ende wird es einer Schutzmacht bedürfen, die die Palästinenser vor israelischen Übergriffen schützen und gleichzeitig Angriffe auf Israel verhindern kann und wird.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (21. Februar 2024 um 21:47 Uhr)
    Das G20-Treffen fokussiert sich hauptsächlich auf wirtschaftliche Themen. Das vorrangige Ziel besteht darin, die internationale wirtschaftliche Stabilität und Zusammenarbeit zu fördern, wobei Handel, Finanzen, Währungen und Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Das G20-Treffen dient als Plattform, auf der die Führer der bedeutendsten Länder zusammenkommen, um globale Herausforderungen zu diskutieren und gemeinsame Lösungen zu suchen. Es ist wichtig anzumerken, dass politische Verurteilungen, Sanktionen und Embargos eindeutig nicht zu den Aufgaben der G20 gehören.

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