junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Dienstag, 30. April 2024, Nr. 101
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

Rafah am Abgrund

Gazakrieg: Einmarsch in überfüllter Grenzstadt droht. Menschenrechtsorganisationen warnen vor Katastrophe
Von Jakob Reimann
Wohnhäuser zerbombt: Menschen fliehen vor israelischen Luftangri
Wohnhäuser zerbombt: Menschen fliehen vor israelischen Luftangriffen in Rafah (19.2.2024)

In Rafah droht eine humanitäre Katastrophe. Ungeachtet eindringlicher Warnungen hält die Netanjahu-Regierung an der angekündigten Großoffensive gegen die Stadt im Gazastreifen fest. Ein Angriff werde die überfüllte Stadt »in einen Friedhof verwandeln«, warnte Avril Benoît, Geschäftsführerin von »Ärzte ohne Grenzen«, am Dienstag abend auf einer Onlinepressekonferenz verschiedener Menschenrechtsorganisationen zur humanitären Lage in Gaza. In die südlichste Stadt des Gazastreifens an der ägyptischen Grenze haben sich seit dem 7. Oktober Hunderttausende Menschen geflüchtet, die den Evakuierungsaufforderungen des israelischen Militärs nachgekommen sind. Mittlerweile ist dort weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Mittelmeerenklave in Zeltstädten zusammengepfercht.

Rafah war kurz nach Kriegsbeginn von der israelischen Regierung als »sichere Zone« ausgewiesen worden, in der Menschen Zuflucht finden können. Doch gab es bereits kurz darauf auch dort mehrfach Luftangriffe auf zivile Ziele, die möglicherweise Kriegsverbrechen darstellen, berichtet die Menschenrechtsanwältin Erika Guevara Rosas von Amnesty International (AI). AI untersuchte demnach vier Luftangriffe der israelischen Armee gegen Wohngebiete und Geflüchtetenlager, bei denen 95 Zivilisten, darunter 42 Kinder, getötet wurden. »Ganze Familien wurden ausgelöscht an Orten, an denen sie Zuflucht gesucht haben«, so Guevara Rosas. »Die Leiche meines 25 Jahre alten Bruders Khalil wurde aufgrund der Wucht des Einschlags 200 Meter entfernt gefunden«, zitiert die AI-Anwältin einen Überlebenden, der mehrere Kinder bei dem Angriff verloren hat.

Die humanitäre Lage in Gaza sei katastrophal, sagen alle NGO-Vertreter einstimmig. »Israel hat den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt«, klagt die Nahostdirektorin von Oxfam, Sally Abi Khalil. Der Gesundheitssektor sei »zusammengebrochen«, und es gebe weder Wasser noch Strom. »Die Palästinenser sind gezwungen, sich von Tierfutter« zu ernähren, und Frauen könnten oft keine Muttermilch mehr produzieren. Israel setze »Hunger als Kriegswaffe« ein. Florence Rigal, Präsidentin von Doctors of the World, beschreibt, wie die israelische Regierung weiterhin verhindere, dass Hilfslieferungen im benötigten Umfang in den Gazastreifen gelangen. Humanitäre Helfer setzten sich Lebensgefahr aus, »Luftangriffe und Scharfschützen gefährden sämtliche Aktivitäten«. Das Büro der Organisation in Gaza sei zwei Wochen zuvor zerstört worden, obwohl dessen Standort gegenüber den israelischen Behörden kommuniziert worden war. Al-Dschasira veröffentlichte Videoaufnahmen verzweifelter Menschen, die sich auf einem der wenigen Trucks mit Hilfslieferungen drängen, und von Kindern, die versuchen, Mehl aus aufgerissenen Säcken aus dem feinen Sand aufzunehmen.

Israel hatte angekündigt, vor der Offensive gegen Rafah die Zivilbevölkerung zu evakuieren. Diese Vorstellung sei eine »Illusion«, meint Jeremy Konyndyk, Präsident der Geflüchteten-NGO Refugees International. Entsprechende Evakuierungspläne seien »reiner Wahnsinn«. Denn schließlich befänden sich die meisten der weit mehr als eine Million Menschen nur dort, »weil der restliche Gazastreifen fast vollständig unbewohnbar gemacht wurde«. Ungeachtet der Versprechen der israelischen Regierung nehmen die Angriffe auf die »sichere Zone« zu. Anfang vergangener Woche wurden mehr als 100 Menschen getötet, als Kampfflugzeuge in der Nacht mehrere Gebiete der Stadt bombardierten und Kampfhubschrauber ihre Maschinengewehre im Grenzgebiet abfeuerten, berichtet CNN. Seit kurzem sind zunehmende Fluchtbewegungen aus Rafah zurück nach Zentralgaza zu verzeichnen, von Menschen, die oft mehrfach innerhalb der schmalen Küstenenklave vertrieben wurden und nun erneut der Aufforderung des israelischen Militärs Folge leisten. Doch auch dort im Zentrum gehen die Angriffe ohne Unterlass weiter. »Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza«, schließt Oxfam-Vertreterin Abi Khalil.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

  • Die Gewalt ist auch in der Westbank eskaliert: Israelische Siedl...
    09.11.2023

    Kolonisten greifen Westbank an

    Deutliche Zunahme von Gewalt und Vertreibung im von Israel besetzten palästinensischen Gebiet
  • Durchsucht und versiegelt: Das Büro der Gefangenenorganisation A...
    26.11.2022

    Kampf um Aufklärung

    Israel hat sechs Menschenrechtsorganisationen verboten. Beschäftigung mit Verbrechen an Palästinensern unerwünscht. Teil 4 und Schluss

Mehr aus: Ausland