4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 5 / Inland
TVÖD für alle

Stieftochter zum Tee

Kampf für gleiche Löhne führt Beschäftigte der Servicegesellschaften von Charité und Vivantes zu einem CDU-Wahlkampftermin für Senioren in Grunewald
Von Susanne Knütter
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Auch das hat nix genutzt: Bundestagskandidat Klaus-Dieter Gröhler hat ein Wahlkampfplakat selbst aufgehängt (Berlin, 7.1.2024)

Die Bundestagswahl am Sonntag hätte mit dieser Zusammenkunft nichts zu tun. Dass Kai Wegner in derselben Partei ist – reiner Zufall. »Das ist keine Wahlkampfveranstaltung«, betonte Klaus-Dieter Gröhler am Freitag nachmittag im Sozialwerk in Berlin Grunewald mehrmals. Seit 2013 war Gröhler Direktkandidat für die CDU im Bundestag. 2021 ging sein Direktmandat an den ehemaligen Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD), und der CDU-Abgeordnete flog aus dem Bundestag.

Zwei Tage vor der Wiederholungswahl, die auch für den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf einige Relevanz hatte, fand also die Veranstaltung »Auf einen Kaffee mit Kai Wegner und Klaus-Dieter Gröhler« statt. Der Festsaal des Käte-Tresenreuter-Hauses war voll, die Besucher betagt, Kaffee und Kuchen reichlich. Ein regelrechter Wohlfühltermin im Kreise der CDU. Doch eine kleine Gruppe stach heraus. An zwei Tischen vor der Bühne hatte eine Delegation der Servicebeschäftigten von Charité und Vivantes Platz genommen. Kuchen aß von ihnen niemand. »Wir sind hier, damit Wegner weiß, wir sitzen ihm im Nacken«, sagte Sascha Kraft von der Charité Facility Management GmbH (CFM) im Gespräch mit jW.

Seit Jahren kämpfen die Kollegen für eine vollständige Rückführung der outgesourcten Klinikbereiche in die landeseigenen Krankenhauskonzerne. Seit 2019 ist die CFM hundertprozentige Tochter der Charité, 2021 gelang es den Kollegen erstmals, einen Tarifvertrag abzuschließen. Die Bezahlung ist dennoch weit vom Niveau des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) entfernt. Darüber hinaus wird ihnen ein Inflationsausgleich, den alle Beschäftigten der Kliniken und gut verdienende Landesbeamte erhalten haben, bislang verwehrt. Damit beträgt der Lohnabstand für die Reinigungskräfte, Krankentransportfahrer, Hausmeister, Medizintechniker, Caterer gegenüber dem TVöD im Mittel 700 Euro, so Kraft.

Wegner hatte kurz nach seinem Amtsantritt vergangenes Jahr im April versprochen, das zu ändern. Auf einer Betriebsversammlung der CFM im Sommer hatten Senatsvertreter dann angekündigt, dass eine Arbeitskommission mit einem Konzept beauftragt werden soll, wie die Rückführung »rechtssicher finanziert« werden könne. Seit Dezember scheint klar, der Prozess soll erneut auf die lange Bank geschoben werden. Einen »konkreten Zeit- und Maßnahmenplan« gibt es noch nicht, wie aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage von Abgeordneten der SPD-Fraktion hervorgeht. Die Aufgabe sei »komplex«. Beschäftigte ehemaliger ausgegründeter Betriebe (Botanischer Garten, Physiotherapeuten von der CPPZ, Therapeuten von der VTD) kritisierten die Argumentationskette im Januar in einem Brief, der jW vorliegt: »Ausgründungen gingen immer ganz schnell.«

Wie Wegner hatte sich auch die SPD, als sie noch den Bürgermeister stellte, für »faire Löhne« ausgesprochen. »Faire Löhne – das ist für uns wie ein Gummiband«, so Kraft. »Wir sind hier, um Wegner an sein Versprechen zu erinnern.« Noch dieses Jahr muss der TVÖD kommen. Sonst wird ab 1. Januar 2025 wieder gestreikt. Denn Ende 2024 endet die Friedenspflicht des Tarifvertrags. Dass es den Kollegen ernst ist, haben sie bereits bewiesen und muss auch den CDU-Vertretern am Freitag aufgefallen sein. Bereits im Vorfeld des Kaffeekränzchens sagte man den Arbeitern ein persönliches Tête-à-Tête mit dem Regierenden Bürgermeister im Anschluss an den »Bürgerdialog« zu. »Herr Wegner war sehr begeistert«, resümierte Kraft hinterher.

Dass eine komplette Rückführung möglich ist, haben die Beispiele der therapeutischen Dienste von Vivantes (VTD) und des physiotherapeutischen Zentrums der Charité (CPPZ) gezeigt. Das betraf allerdings weniger Beschäftigte, ergänzte ein Kollege der CFM. Bei den Töchtern, um die es jetzt geht, arbeiten insgesamt ungefähr 5.500 Kollegen. »Am Ende geht es ums Geld.«

Gröhler und Wegner empfahlen sich am Freitag gegenseitig. Genutzt hat es Gröhler nichts. Müller verteidigte sein Direktmandat mit 700 Stimmen Vorsprung. An den Servicebeschäftigten hat das nicht gelegen. Von ihnen dürfte niemand in Grunewald gemeldet sein.

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