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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 5 / Inland
Medizinische Fachangestellte

Mehr Geld für Praxispersonal

Vorläufige Einigung im Tarifkonflikt nach Warnstreik Medizinischer Fachangestellter
Von Ralf Wurzbacher
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Lautstarker Protest Medizinischer Fachangestellter (Berlin, 8.2.2024)

Einmal Warnstreik, und prompt eine Einigung erzielt. Der historisch erste Arbeitskampf von Beschäftigten deutscher Arztpraxen am vergangenen Donnerstag hat einen Teilerfolg gezeitigt. Noch am selben Tag haben sich in Berlin Vertreter der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit dem Verband medizinischer Fachberufe (VMF) auf den Abschluss eines Tarifvertrags verständigt. Befriedet ist der Konflikt allerdings nur auf kurze Sicht, weil das Regelwerk mit einer Laufzeit von zehn Monaten ab 1. März lediglich bis Jahresende Gültigkeit hat. Danach muss erneut verhandelt werden.

»Es ist ein Kompromiss, keine Vereinbarung von Dauer, damit geht es also bald weiter«, äußerte sich VMF-Sprecherin Heike Rösch am Montag gegenüber junge Welt. Zu Details gab sie keine Auskunft. Beide Seiten wollen erst nach Ablauf der sogenannten Erklärungsfrist am 16. März über die Inhalte der Beschlüsse informieren. Soviel ist sicher: Zur Erfüllung ihrer Maximalforderungen hat es für die Gewerkschaft nicht gereicht. Der VMF war angetreten, für die deutschlandweit rund 330.000 Medizinischen Fachangestellten (MFA), Arzthelferinnen und -helfer Entgeltsteigerungen von im Mittel knapp 15 Prozent durchzusetzen, für Neulinge gar ein Plus von fast 30 Prozent. Die Einstiegsvergütung liegt mit aktuell 13,22 Euro pro Stunde nur unwesentlich über Mindestlohnniveau und deutlich unter dem, was etwa Pflegehilfskräfte in Kliniken verdienen. Diese erhalten nach einer einjährigen Ausbildungszeit ab Mai 16,50 Euro. MFA absolvieren dagegen eine dreijährige Berufsvorbereitung.

Die bei der Bundesärztekammer angesiedelte Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten (AAA) hatte zuletzt nur eine Zugabe von weniger als sechs Prozent für die unteren Gehaltsgruppen offeriert. Altgediente Kräfte sollten gar mit »0,1 Prozent« abgespeist werden, hatte im Vorfeld der vierten Gesprächsrunde VMF-Präsidentin Hannelore König beklagt. Der Tarifstreit ist seit Oktober im Gange und gipfelte am Donnerstag im ersten Ausstand der Verbandsgeschichte. Daran beteiligten sich bundesweit über 2.000 Beschäftigte. Insgesamt 1.000 fanden sich zu sechs größeren Kundgebungen in Dortmund, Hamburg, Marburg, Nürnberg, Stuttgart sowie vor der Bundesärztekammer in Berlin ein. »MFA sind keine Lokführer. Die Problematik ist um einiges komplizierter und liegt zu einem wichtigen Teil im System der Finanzierung des Gesundheitswesens«, erklärte König anschließend per Medienmitteilung. Gleichwohl habe man viel erreicht: »In der Öffentlichkeit wird über die Gehalts- und Arbeitssituation der MFA gesprochen. Dieser Druck scheint nicht ohne Auswirkung geblieben zu sein.«

Es greift zu kurz, einseitig die Ärzteschaft für die schlechten Lohnbedingungen verantwortlich zu machen. Hauptübel sind die zu geringen Zuweisungen durch die Krankenkassen im Zeichen unzureichender Einnahmen, Kommerzialisierung und Budgetierung. Man habe seitens der Politik eine »Erhöhung von zirka vier Prozent an Geldmitteln bekommen, die in die Praxen als verwendbare Geldmittel hineinfließen«, hatte am Freitag im ZDF-»Morgenmagazin« AAA-Leiter Erik Bodendieck bemerkt. Höhere Personalkosten müssten an anderer Stelle wieder eingespart werden, das sei ein »Spagat«. Man müsse »die Praxen auskömmlicher finanzieren«, um mehr Personal zu gewinnen, befand auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Tino Sorge. Insofern habe Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Tatsächlich ist die Personalsituation in den Praxen angespannt. Nach einer neueren VMF-Umfrage spielen fast 40 Prozent der Betroffenen mit dem Gedanken, aus dem Beruf auszuscheiden. Eine weitere Erhebung offenbart, dass 23 Prozent der MFA mit individuellen Arbeitsverträgen sogar unter Tarif bezahlt werden, zwei Prozent liegen auf oder unter dem Niveau des Mindestlohns von aktuell 12,41 Euro. Lediglich 15 Prozent werden über Tarif entlohnt, was mithin aber immer noch viel zuwenig ist. Gewerkschaftschefin König warnte: »Ohne deutliche Verbesserungen für die MFA ist die ambulante Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdet.«

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