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Aus: Ausgabe vom 19.08.2022, Seite 10 / Feuilleton
Documenta 15

Keine Kippa

Einem zuletzt als antisemitisch kritisierten Bild auf der Documenta 15 soll umgehend eine Erläuterung beigefügt werden. Das erklärte die Documenta am Mittwoch abend in einer Mitteilung. Darin weist das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa die Vorwürfe gegen die Arbeit zurück und verteidigt, dass auf einem Gemälde die Kopfbedeckung einer Figur überklebt wurde. »Mit dieser Intervention sollte eine mögliche Fehlinterpretation verhindert werden«, heißt es in der Mitteilung. Die Documenta 15 verweigere sich »der Polemik, die mit dieser Darstellung – ohne fundierte Recherche – ›den nächsten antisemitischen Skandal‹ ankündigt«.

Das Junge Forum der Deutsch-israelischen Gesellschaft hatte am Dienstag das Bild »All Mining is Dangerous« der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi als antisemitisch kritisiert, weil auf diesem eine Figur mit langer Nase und Geldsäcken abgebildet sei, die eine Kippa trage. Die Kopfbedeckung wurde später überklebt. Ruangrupa widerspricht dieser Deutung: Das Bild stelle vielmehr die muslimische religiöse Führung in Indonesien dar. Bei der Kopfbedeckung handele es sich nicht um eine Kippa, sondern um eine in Indonesien traditionelle und weit verbreitete »Kopiah« oder »Peci«. Diese werde von einer wiederkehrenden Figur in einer Form des beliebten indonesischen Puppenspiels (Wayang) getragen. Die Kopiah reiche im Gegensatz zur Kippa bis zu den Ohren.

»Jeder/m Künstler*in steht es frei, ihr oder sein Werk zu bemalen, zu bekleben oder anderweitig zu bearbeiten«, betont Ruangrupa in der Erläuterung. In diesem Fall sei das nicht geschehen, um etwas zu vertuschen, »sondern als ästhetische Entscheidung, um auf den unmittelbaren Kontext, in dem das Werk gezeigt wurde, mit Anerkennung, Sensibilität und Behutsamkeit zu reagieren.«

Diese Hintergründe habe Ruangrupa Vertretern beider Gesellschafter, Stadt Kassel und Land Hessen, sowie dem Antisemitismusbeauftragten des Landes, Uwe Becker, erläutert, heißt es in der Mitteilung. Die Gesellschafter seien der Auffassung, dass als antisemitisch in der Diskussion stehende Beiträge bis zur abschließen Klärung aus der Ausstellung entfernt werden sollten. Ihre Haltung zu dem Bild Taring Padis machten sie von der Einschätzung der von den Gesellschaftern eingesetzten Expertenkommission abhängig. Bereits kurz nach der Eröffnung der Documenta 15 war ein Banner von Taring Padi wegen antisemitischer Abbildungen abgehängt worden.

Aus anderen Gründen sorgen derweil offenbar Skulpturen des Künstlerkollektivs Atis Rezistans aus Haiti für Irritationen, die in der katholischen Kirche St. Kunigundis in Kassel zu sehen sind. Die Werke bestehen unter anderem aus Metall, Schrott und menschlichen Schädeln und Gebeinen. Konservative Katholiken zeigten »bisweilen Entsetzen« berichtete die Lokalzeitung HNA (Mittwoch). Das für Kassel zuständige Bistum Fulda erklärte dagegen, gerade der bildliche Umgang mit dem Tod in der karibischen Kunst weise direkte Parallelen und Entsprechungen in der katholischen, barocken Tradition auf. Man »begrüße die Möglichkeit zur Begegnung der Kulturen«. (dpa/jW)

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