Keine Antwort für Habiba
Von Yaro Allisat
Das Gros der Beschäftigten, die in der Bundesrepublik verschärfte Ausbeutung erleiden, sind Leiharbeiter aus anderen EU-Staaten, Nicht-EU-Migranten und Geflüchtete. Wer als Migrant in Deutschland erwerbstätig ist, wird systematisch in den Niedriglohnsektor gedrängt. Der Ausbildungsbereich ist davon nicht befreit. Zwar ist der Anteil an Migranten in den Ausbildungsberufen laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes insgesamt deutlich angestiegen. Doch bewerben sich »Habiba« oder »Yusuf« auf einen Ausbildungsplatz, erhalten sie nur halb so häufig eine Rückmeldung wie »Lukas« oder »Herta«. Das wiederum zeigt eine aktuelle Feldstudie der Universität Siegen.
Qualifikation hilft nicht
Selbst überdurchschnittliche Schulnoten oder soziales Engagement bewirken kaum etwas. »Herkunft schlägt Leistung«, konstatiert die Wissenschaftlerin Dilara Wiemann. In 50.000 Versuchen und 700 Befragungen von Unternehmen hatten sich die Studienautoren in Betrieben hierzulande nach Ausbildungsplätzen erkundigt. Die Nennung eines arabisch klingenden Namens führte zu lediglich 36 Antworten pro 100 Anfragen, bei russisch klingenden Namen waren es 56, bei hebräischen 54, gegenüber 67 Rückmeldungen bei »deutschen« Namen.
Auf Nachfrage rechtfertigen Betriebe den Rassismus mit Mehraufwand, sollten ihre Azubis keine Staatsbürgerschaft eines EU-Staates oder eines anderen westlichen Staates haben. Befürchtungen von Sprachbarrieren, zusätzlichem bürokratischen Aufwand bei der Ausländerbehörde oder »kulturellen Missverständnissen« wurden genannt. Dabei haben 29 Prozent der Kinder mittlerweile einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes rechnen auch Migration innerhalb der EU dazu.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung führte in einer Erhebung von 2019 auch strukturelle Gründe an. Nur 29 Prozent der Bewerbungen von Personen mit Migrationshintergrund waren demnach erfolgreich, im Vergleich zu 47 Prozent bei Personen ohne Migrationshintergrund. Personen mit Migrationsgeschichte oder Kinder von Migranten hätten schon im Schulsystem mit Benachteiligung zu kämpfen und hätten es dann schwerer bei der Berufswahl. Auch bewerben sich die meisten Personen im Dienstleistungssektor, der deutlich weniger zugänglich sei, als etwa das Handwerk. Aber auch bei gleichen oder sogar besseren Noten und Voraussetzungen werden migrantische junge Erwachsene benachteiligt. Unabhängig davon, ob sie schon in zweiter oder dritter Generation in der Bundesrepublik leben.
Fortgesetzte Benachteiligung
Das zeigt sich im Beruf: Eingewanderte in Europa und Nordamerika verdienen im Schnitt etwa 18 Prozent weniger als Einheimische. In Deutschland liegt der Unterschied laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der ersten Einwanderergeneration bei 19,6 Prozent. Frauen betrifft das sogar noch deutlicher. Doch unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Tätigkeit betrifft nur etwa ein Viertel dieses Gefälles. Etwa 75 Prozent basieren dagegen auf dem eingeschränkten Zugang zu gut bezahlten Branchen, Berufen und Unternehmen. Auch Migranten der zweiten Generation schneiden hierzulande schlechter ab, als in vielen anderen Ländern: Im Schnitt verdienen sie 7,7 Prozent weniger als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Im internationalen Durchschnitt sind es 5,7 Prozent.
Unternehmen sollten nach Ansicht der Siegener Studienautoren nun Entscheidungsmuster bei der Ausbildungsvergabe hinterfragen, zudem solle Bürokratie im Aufenthaltsrecht insgesamt abgebaut werden. Doch sind viele der Hürden für zugewanderte Beschäftigte gesetzlich verankert und entsprechend gewollt. Eine Ausbildung ist beispielsweise oft die einzige Möglichkeit, nach einem negativ beschiedenen Asylantrag in Deutschland bleiben zu können. Auch wenn sich Betriebe für ihre Azubis einsetzen, verweigern Ausländerbehörden teils, den Personen eine sogenannte Ausbildungsduldung auszustellen.
Wie bei jedem an den Job geknüpften Aufenthalt ist hier der Druck auf die Betroffenen unglaublich hoch. Ist die Arbeit weg, kann abgeschoben werden. Auch das Entsenderecht, also dass Unternehmen mit Sitz im EU-Ausland Arbeitskräfte für einen kurzen Zeitraum nach Deutschland schicken können, wird von Unternehmen als gesetzliches Schlupfloch oft genutzt, um Personen langfristig unterbezahlt in Deutschland auszubeuten. Sie können sie dann gemäß den Arbeits- und Lohnbedingungen des Herkunftslandes beschäftigen. So gehört der deutsche Niedriglohnsektor weiterhin zu den größten in der EU.
Konsequenzen wegen Diskriminierung oder Überausbeutung gibt es fast nie. Doch wer schon bei der Bewerbung aus dem Raster der Einstellungen fällt, den schützen auch Maßnahmen der Bundesregierung wie Ausbildungsgarantie oder Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht, manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall. Eine echte Verpflichtung der Betriebe zur Ausbildung junger Menschen, eine garantierte Übernahme oder eine nachhaltige Integration in sichere Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnisse fehlen weiterhin.
Yaro Allisat ist freier Journalist in Leipzig und regelmäßiger jW-Autor
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Ayman al-Sahili/REUTERS01.08.2025Milizen in Asylabwehr geschult
Patrick Pleul/dpa23.07.2025»Notwendig wäre, die Kommunen zu stärken«
Stefan Boness/IPON05.06.2024Fachkräfte (nicht) um jeden Preis
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Amtliche Ausflüchte
vom 03.09.2025 -
Beirat der Bosse
vom 03.09.2025 -
Ein todsicheres Geschäft
vom 03.09.2025 -
Existenz auf Pump
vom 03.09.2025 -
»Das löst kein Problem, sondern schafft welche«
vom 03.09.2025