Existenz auf Pump
Von Ralf Wurzbacher
Die Zahl derer, die mittlere und größere Anschaffungen auf Pump tätigen, ist in den zurückliegenden Krisenjahren kontinuierlich gestiegen. Ratenkredite seien in Deutschland »immer beliebter«, schrieb unlängst das Handelsblatt. So lässt sich beschönigen, was wohl in vielen Fällen einen Notstand beschreibt. Im Vorjahr überschritt die Nachfrage erstmals die Marke von zehn Millionen neu abgeschlossenen Verträgen, wie eine aktuelle Auswertung der Wirtschaftsauskunftei Schufa ergab. Vermehrt werden demnach Kleinkredite von unter 1.000 Euro vergeben. Sie machen inzwischen fast die Hälfte des Gesamtaufkommens aus; 2020 hatte ihr Anteil noch rund ein Fünftel betragen. Verbraucherschützer warnen seit längerem vor der Entwicklung.
Zum »Boom« beim Verschulden passt auch diese Neuigkeit: Nach einer am Dienstag vorgestellten Forsa-Erhebung im Auftrag der Organisation »Save the Children« bangen Familien zunehmend um ihre finanzielle Zukunft. Befragt wurden im August knapp über 1.000 Eltern von minderjährigen Kindern. Mit Blick auf die kommenden zwölf Monate äußerten sich 25 Prozent besorgt, dass sie ihre Grundbedürfnisse – Heizung, Wohnen, Kleidung, Nahrung – nicht oder nicht mehr ausreichend decken können. Treiber des Pessimismus ist offenbar der Kurs der Bundesregierung. Bei einer im Inhalt identischen Umfrage vor der Bundestagswahl bekannten sich »nur« 15 Prozent zu entsprechenden Ängsten.
»Die Erwartungen an die Politik sind hoch – und das Vertrauen in bestehende Strategien gering«, erklärte Eric Großhaus, Experte für Kinderarmut bei »Save the Children«, in einer Medienmitteilung. »In den anstehenden Diskussionen und Reformen zur Zukunft des Sozialstaates und des Bürgergelds muss eins klargestellt werden: Familien und Kinder sind keine Bittsteller – sie haben ein Recht auf umfassende Unterstützung«, unterstrich Großhaus. Im besonderen verwies er auf die prekäre Lage von Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 3.000 Euro. Hier gaben 57 Prozent an, sich die Versorgung mit dem Notwendigsten nicht mehr leisten zu können. Im Januar lag die Quote noch um 21 Prozentpunkte darunter. Urlaubsreisen, Restaurantbesuche, Hobbys oder neue Möbel sind für 48 Prozent dieser Gruppe nicht mehr erschwinglich, bei Alleinerziehenden in einem Drittel der Fälle.
Wenn dann auch noch der Kühlschrank den Geist aufgibt und umgehend Ersatz her muss, landen die, die ohnehin kaum etwas haben, schnell in der Schuldenfalle. Wozu auch der Handel und die Banken beitragen mit vermeintlichen Nullzins- oder Angeboten der Sorte »Buy now, pay later« (Kauf jetzt, bezahle später). Wer sich wiederholt auf die Masche einlässt, weil das Konto gerade leer ist, verliere »leichter den Überblick über die monatlichen Raten und damit die Gesamtschuldenlast«, zitierte dpa am Dienstag Schufa-Vorstandsmitglied Ole Schröder. Überhaupt unterstreiche der starke Anstieg bei Kleinkrediten das »potentielle Überschuldungsrisiko«. Nach Angaben des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (VZBV) können beim Ratenkauf oder beim Überziehen von Zahlungsfristen immens hohe Zinsen anfallen.
Die Schufa verzeichnete für 2024 bei Krediten bis 1.000 Euro einen deutlichen Anstieg um fast 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf rund 4,99 Millionen neue Abschlüsse, wogegen sich der Zuwachs bei solchen im Umfang über 1.000 Euro unter vier Prozent bewegt. Das dürfte ein Hinweis darauf sein, dass vor allem Menschen mit geringerem Einkommen gehäuft zum Kauf auf Pump genötigt sind. Insgesamt hatten Banken zum Jahresende knapp 19,6 Millionen laufende Ratenkredite ausgereicht – gut 574.000 mehr als ein Jahr zuvor. Kunden sind immer öfter jüngere Personen aus der Altersklasse der 35- bis 44jährigen. Vor fünf Jahren gab es unter ihnen 4,1 Millionen Kreditnehmer, zuletzt waren es 5,2 Millionen. Eine weniger deutliche Zunahme zeigt sich bei Kunden zwischen 18 und 34 Jahren. Im zurückliegenden Jahr belief sich die Zahl der Privatinsolvenzen gemäß »Schuldenbarometer 2024« des Informationsdienstleisters Crif bei einem Plus von 6,6 Prozent auf bundesweit 99.991.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Inland
-
Amtliche Ausflüchte
vom 03.09.2025 -
Beirat der Bosse
vom 03.09.2025 -
Ein todsicheres Geschäft
vom 03.09.2025 -
»Das löst kein Problem, sondern schafft welche«
vom 03.09.2025