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Aus: Ausgabe vom 03.09.2025, Seite 4 / Inland
Gremium zum »Sondervermögen«

Beirat der Bosse

SPD-Minister Klingbeil beruft Kapitalvertreter in Milliardengremium
Von Philip Tassev
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Propagandaplakat des neoliberalen Lobbyvereins »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« in Berlin (17.9.2024)

Im März brachte die Scholz-Regierung das »Sondervermögen« für Infrastruktur auf den Weg. Ganze 500 Milliarden Euro sollen investiert werden – ausschließlich finanziert durch neue Kreditermächtigungen. Doch offenbar weiß weder im Finanz- noch im Wirtschaftsministerium irgend jemand, was mit all diesem Geld geschehen soll. Anders lässt sich kaum erklären, warum Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) einen »Expertenbeirat« ins Leben gerufen hat, der die Regierung beim Geldausgeben beraten soll. Am Dienstag stellte sein Ministerium die Zusammensetzung vor – und die macht deutlich, wessen Interessen in diesem Land bei solchen Entscheidungen zählen.

Den Vorsitz übernimmt der Kapitalist Harald Christ. Der 1972 geborene Rheinhesse blickt auf eine lange Karriere in den Chefetagen der Finanz- und Handelswelt zurück. Er war Vorstandsvorsitzender der Postbank-Finanzberatung, Manager beim Versicherungskonzern Ergo, Aufsichtsrat bei Galeria Karstadt-Kaufhof und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Signa Retail Selection – dem Joint Venture von René Benkos Signa Holding mit der thailändischen Central Group des Milliardärsclans Chirathivat. Heute sitzt er noch im Aufsichtsrat der Hamburger Reederei Ernst Russ AG, leitet seine eigene Beratungsfirma Christ & Company und gründete 2020 eine nach ihm benannte »Stiftung für Demokratie und Vielfalt«.

Auch in der Politik kennt sich Christ bestens aus. Seit den späten 1980er Jahren SPD-Mitglied, stieg er bis in die Landesvorstände von Hamburg und Berlin auf, war 2009 als Wirtschaftsminister im Gespräch und wurde 2018 »Mittelstandsbeauftragter« der SPD. Ende 2019 kehrte er der Partei jedoch den Rücken, weil sie ihm »zu weit nach links abgedriftet« war, wie er der Welt erklärte. Wenig später trat er der FDP bei, deren Bundesschatzmeister er wurde – bis er sie Ende 2024 im Zuge des Bruchs der »Ampelkoalition« wieder verließ. Aber auch parteiübergreifend zeigte sich Christ großzügig: Allein im Juni 2023 flossen 253.000 Euro von ihm an FDP, CDU, SPD und Grüne.

Doch nicht nur Christ, auch die übrigen Mitglieder des Beirats verkörpern vor allem die Interessen von Konzernen und Lobbyorganisationen. Ann-Kristin Achleitner, Professorin an der TU München, saß und sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten – Metro, Engie, Deutsche Börse, Münchener Rück, DHL. 2009 trat sie in einer PR-Kampagne der neoliberalen »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« auf. Zudem gehört sie der Trilateralen Kommission, Klaus Schwabs Weltwirtschaftsforum und der Dieter-Schwarz-Stiftung (Lidl, Kaufland) an.

Ebenfalls im Gremium ist Sabine Bendiek, bis 2023 Vorstandsmitglied bei SAP und zuvor Chefin von Microsoft Deutschland. Heute sitzt sie im Aufsichtsrat der Schaeffler AG, ist Mitglied der berüchtigten »Atlantikbrücke« und Vizepräsidentin der »American Chamber of Commerce in Germany«.

Vertreten ist außerdem Roman Zitzelsberger (SPD), bis Anfang 2024 Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Er ist Mitglied in den Aufsichtsräten der Mercedes-Benz Group und der Daimler Truck Holding und war stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei ZF Friedrichshafen. Ergänzt wird die Runde durch den früheren Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz sowie Klingbeils Wirtschaftsberater Jens Südekum.

Alles in allem ist dieser »Expertenbeirat« kaum mehr als ein exklusiver Zirkel aus Managern, Lobbyisten und Funktionären. Während über 500 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern entschieden wird, bleibt die werktätige Bevölkerung außen vor. Der Anspruch, im Interesse der Gesellschaft zu handeln, wirkt angesichts dieser Besetzung wie blanker Hohn.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Susanne S. aus Berlin (3. September 2025 um 00:16 Uhr)
    Sehr geehrte Redaktion, Roman Zitzelsberger ist nun wirklich kein Kapitalvertreter. Er ist Gewerkschafter, das schreibt ihr doch selber. Seine Posten in Aufsichtsräten als Beleg für die einseitige Besetzung des Gremiums anzuführen, ist einfach Unsinn. Gewerkschafter werden im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung in die Aufsichtsräte gewählt, das muss man euch ja nicht erklären. Möglicherweise habt ihr völlig recht mit den übrigen Mitgliedern des Gremiums. Aber einen langjährigen Bezirksleiter der IG Metall als Beleg für das Fehlen von Beschäftigtenvertretern in dem Gremiums anzuführen, lässt an euren Recherchen zweifeln. Beste Grüße, S. Steinborn
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (3. September 2025 um 11:41 Uhr)
      Im Artikel steht richtig, dass die Mitglieder des Gremiums vorwiegend Kapitalinteressen widerspiegeln. Ein Gewerkschafter dient da eher als Feigenblatt. Zudem dienen die Aufsichtsratsmandate für die Gewerkschaften ja nicht dem Zweck, den Arbeitern Mitbestimmung zu gewähren. Sondern sie sollen vorwiegend absichern, dass die Gewerkschaften schön die Füße stillhalten, wenns an Eingemachte geht. Ein Blick ins Leben zeigt, dass das mit dem Lahmlegen wirklicher gewerkschaftlicher Aktion zum Beispiel in der Frage von Krieg und Frieden leider fast immer perfekt funktioniert.

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