Amtliche Ausflüchte
Von Henning von Stoltzenberg
Im Nachgang der sogenannten Antimilitärparade des Bündnisses »Rheinmetall entwaffnen« in Köln findet eine mediale Auseinandersetzung um die Deutung der Ereignisse statt. Die Polizei hatte die Versammlung am Sonnabend gewaltsam aufgelöst, und tags darauf hatte das Bündnis mitgeteilt, dass schon der Beginn der Demonstration polizeilich verzögert worden sei, weil die TÜV-Kennzeichnungen der Lautsprecherwagen überprüft werden sollten.
Bei der Durchsuchung des Lautsprecherwagens gegen 18 Uhr will die Polizei neben den großen Fahnen diverse Pyrotechnik, zwei Heliumgasflaschen, acht mit Farbe gefüllte Glasflaschen, eine Flasche Brennspiritus sowie Wunderkerzen sichergestellt haben, wie sie selbst mitteilte. Weiter wird von schwarz gekleideten Personen, verknoteten Bannern und dem »Abtauchen« von Personen unter einer großen Fahne berichtet. Nach Entfernen der Fahne sei aus der Gruppe heraus Pyrotechnik gezündet worden.
Des Weiteren sollen Verbindungsbeamte von einer größeren Gruppe angegriffen worden sein, als sie sich dem Lautsprecherwagen der zum wiederholten Male gestoppten Demonstration genähert hatten. Die Polizei räumte über ihre Pressestelle ein, zur Auflösung auch Schlagstöcke und Reizstoff eingesetzt zu haben. Angeblich sollen Antimilitaristen versucht haben, Einsatzkräften die Waffen aus den Holstern zu reißen. Dem widerspricht Thomas Bonmann (Name geändert), der Ordner im Revolutionären Block der Demonstration war, im Gespräch mit junge Welt am Dienstag entschieden.
Im Ergebnis berichtet »Rheinmetall entwaffnen« von 147 Personen, die durch das Vorgehen der Polizei verletzt wurden und von den Sanitätern behandelt werden mussten, 18 seien ins Krankenhaus gebracht worden. »Eine so brutale Eskalation der Polizei ist ein politischer Skandal«, sagte Bündnissprecher Luca Hirsch. »Die Polizei hat Menschen notärztliche Behandlung verwehrt, sie hat unsere Anwältin körperlich angegriffen, anwesende Presse festgenommen und den festgesetzten Personen wurde zeitweise Zugang zu Getränken und Toiletten verwehrt.« An jenem Tag waren auch Abgeordnete als parlamentarische Beobachter anwesend. Lisa Schubert (Die Linke) berichtete online von schwerwiegender Polizeigewalt gegen eingekesselte Demonstranten und von der Behinderung der Arbeit von Sanitätern. Auch Schubert sei von Polizeibeamten geschubst worden.
Die Erfahrung reihe sich ein »in eine Vielzahl von politischen Angriffen der Polizei, die wir schon mit dem rechtswidrigen Verbotsversuch unseres Camps sowie der Verbotsdrohung gegen die anderen Versammlungen im Rahmen unserer Aktionstage erleben konnten«, sagte Hirsch. Der »legitime und notwendige Protest gegen die Militarisierung« werde kriminalisiert, bekämpft und solle »letztlich verhindert werden«. Gefunden habe die Polizei im durchsuchten Lautsprecherwagen nur Heliumkartuschen für Luftballons, sagte Hirsch.
Dies stellt die Pressestelle der Kölner Polizei erwartungsgemäß völlig anders dar. Deren »Behauptungen dienen einzig und allein der Rechtfertigung der polizeilichen Maßnahmen«, widersprach der Sprecher von »Rheinmetall entwaffnen«. Aus dessen Sicht sei es »von vornherein klar« gewesen, dass die antimilitaristische Demonstration ihren Zielort nicht erreichen sollte. »Die Beamten waren von Anfang an behelmt, haben uns mehrfach wegen Kleinigkeiten gestoppt«, berichtete Hirsch. Teilnehmer sollten offenbar »durch Verzögerungstaktik« ermüdet werden.
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Leserbrief von Franz Lindlacher aus Staudach (3. September 2025 um 07:01 Uhr)Wenn bei einer Friedensdemonstration für so ein wichtiges Thema, die bundesweit beworben wurde, und das in einer Millionenstadt nur 3000 Menschen auf die Straße gehen, sollte man sich langsam mal überlegen, ob man das richtige Konzept hat. Wir brauchen ein breites Bündnis in die Mitte der Gesellschaft und nicht diese wild gewordenen Revolutionsspinner, die meinen, ein paar Böller zu schmeißen wäre schon Klassenkampf. Die Friedensbewegung sollte die Finger von diesen, warscheinlich eh schon unterwanderten, Leuten lassen.
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Leserbrief von Andreas Schmitz aus Lauchringen (3. September 2025 um 16:01 Uhr)Das »breite Bündnis in der Mitte der Gesellschaft« will sich ja gerade von den »Revolutionsspinnern« distanzieren. Sie hat nichts anderes im Kopf als ihr armseliges Interesse, ein Lohnsklave des Kapitalismus zu sein. Deshalb kommen nur wenige bewusste Klassenkämpfer zu solchen Veranstaltungen. Die Mitte der Gesellschaft will sich lieber im imperialistischen Krieg verheizen lassen. Die Mitte der Gesellschaft ist der Propaganda der Bourgeoisie bereits erlegen und ist dabei, sich für deren Interessen abschlachten zu lassen. Gegen den kommenden Krieg müssen sich mehr klassenbewusste Menschen wie in Köln mobilisieren.
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Leserbrief von Friedenszausel (3. September 2025 um 13:46 Uhr)»Wir brauchen ein breites Bündnis in die Mitte der Gesellschaft und nicht diese wild gewordenen Revolutionsspinner« – ich bin aus der Mitte der Gesellschaft und war dabei, aber ja, davon gibt es leider viel zu wenige. Wundert mich aber auch nicht, bei der Militärpropaganda auf fast allen Kanälen. Den wohlhabenden Boomern ist’s egal, das Prekariat hat andere Sorgen, die Jugendlichen von FFF sind zu K-Gruppen oder der grünen Jugend abgewandert und friedliebende Normalos werden von solchen Ereignissen wie in Köln abgeschreckt. Abschreckung und Spaltung ist das Ziel der Staatsführung und Rüstungslobbyisten unserer neu entstehenden »Bundeswehrrepublik Deutschland«. Haben Sie ein Konzept? Teilen Sie es.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (3. September 2025 um 11:25 Uhr)Woher weißt du so genau, dass das 3000 Spinner waren, die da auf die Straße gegangen sind? Und wieviele deiner Bekannten hast du, genau du, aus der Mitte der Gesellschaft bei ähnlichen Anlässen auf die Straße gebracht? Es lässt sich trefflich räsonieren, wenn andere die Prügel einstecken, die für uns alle gedacht sind.
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