Aus den Augen, aus dem Sinn
Von Volker Hermsdorf
Die Bundesregierung will den Import von Frackinggas weiter steigern. Ab 2027 soll Flüssigerdgas (LNG) aus Argentinien eingefahren werden. Das hiesige staatliche Unternehmen Securing Energy for Europe (SEFE) schloss dazu Anfang Dezember einen Vertrag mit dem argentinischen Konsortium Southern Energy. Vorgesehen sind Lieferungen von jährlich bis zu zwei Millionen Tonnen LNG über einen Zeitraum von acht Jahren. Das Vertragsvolumen liegt bei rund sieben Milliarden US-Dollar. Aus Sicht Berlins ist der Deal Teil der Strategie, sich von russischen Energielieferungen dauerhaft zu lösen. Für das wirtschaftlich angeschlagene Argentinien soll der erste größere LNG-Exportvertrag dringend benötigte Devisen bringen. Die BRD nimmt damit nicht nur Umweltzerstörungen in Patagonien in Kauf, sondern stärkt zugleich die Regierung des autoritär regierenden Staatschefs.
»Es ist der Beginn einer neuen Ära: der Ära der vollständigen Energieunabhängigkeit Europas von Russland«, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum nahezu zur selben Zeit erfolgten EU-Beschluss, bis Ende 2027 komplett aus russischen Gasimporten auszusteigen. »Wir stehen damit solidarisch an der Seite der Ukraine und richten unseren Blick auf neue Energiepartnerschaften.« Einer der bevorzugten Partner ist die argentinische Regierung unter Javier Milei. Der Vertrag mit der BRD werde das Land als »zuverlässigen, prowestlichen Lieferanten« etablieren, versicherte ein Vertreter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Buenos Aires gegenüber der Deutschen Welle. Die Initiative zu dem Deal reicht in die Zeit der Ampelkoalition zurück. Deren Kanzler Olaf Scholz hatte bereits im Januar 2023 bei einem Besuch in Argentinien Gespräche über mögliche Energieabkommen geführt – damals noch mit der peronistischen Vorgängerregierung.
Der Deal hat eine politische und ökologische Kehrseite. Das argentinische LNG, das dazu beitragen soll, die in großer Eile errichteten Terminals an den Nord- und Ostseeküsten auszulasten, stammt aus dem Schiefergasfeld »Vaca Muerta« in der patagonischen Provinz Neuquén – einer der größten »unkonventionellen« Gaslagerstätten der Welt. Gefördert wird dort mittels Fracking, einer in der BRD weitestgehend verbotenen Technologie. Über neue Pipelines soll das Gas an die Atlantikküste transportiert und im Golf von San Matías auf schwimmenden Verflüssigungsanlagen verarbeitet werden. Die erste Anlage, das LNG-Schiff »Hilli Episeyo«, soll Ende 2027 den Betrieb aufnehmen, eine zweite soll 2028 folgen. Von dort aus sollen die Tanker Kurs auf Europa nehmen. Der – auch von der vorangegangenen argentinischen Regierung forcierte – intensive Ausbau der Öl- und Gasförderung hat das Land zwar vom Nettoenergieimporteur zum Exporteur gemacht. Doch der Preis dafür ist hoch.
Beim Fracking werden pro Bohrung Millionen Liter Wasser, vermischt mit Chemikalien und Sand, in den Boden gepresst. In der trockenen Region Patagonien hat das gravierende Folgen: Anwohner berichten seit Jahren von verschmutztem Grund- und Trinkwasser, zunehmenden Erdbeben, Rissen in Hauswänden und zurückgehenden Ernten. Besonders betroffen sind indigene Gemeinschaften der Mapuche, auf deren Territorium große Teile der Förderung stattfinden. Sie wehren sich gegen Landraub, Umweltzerstörung und die Vertreibung ganzer Dorfgemeinschaften, stoßen dabei jedoch zunehmend auf staatliche Repression. Im Juli 2025 demonstrierten Zehntausende in der Provinzhauptstadt Neuquén gegen die geplante Umsiedlung von rund 2.000 Mapuche. Vertreter von Regierung und Ölindustrie weisen die Kritik zurück und erklären Fracking für unverzichtbar für die nationale Wirtschaft.
Das LNG-Abkommen ist exemplarisch für die Widersprüche der europäischen Energiepolitik nach dem Bruch mit Russland: Versorgungssicherheit wird erkauft durch neue Abhängigkeiten, dramatische Umweltbelastungen am anderen Ende der Welt und politische Schützenhilfe für einen autoritär regierenden rechten Machthaber. Das Gas aus Vaca Muerta mag russische Lieferungen ersetzen – sauberer oder konfliktfreier ist es ganz sicher nicht.
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