Mapuche gegen Fracking
Von Frederic Schnatterer, Neuquén
Auf der staubigen Straße ist kein Durchkommen. Autos, Pick-ups und Lastwagen wenden umständlich auf der nichtasphaltierten Fahrbahn, die hier nur wenige Meter vom Ufer des Stausees Mari Menuco in der südargentinischen Provinz Neuquén verläuft. Die rote Erde hebt sich vom tiefen Blau des Wassers ab. Niedrige Sträucher durchbrechen die Eintönigkeit der wüstenhaften Landschaft. Die Mittagssonne brennt. Auf der Fahrbahn stehen Tische und Plastikstühle unter provisorisch gespannten Sonnensegeln. Im Wind flattert die Wenufoye, die Flagge der Mapuche-Indigenen, die an einem in den Boden gerammten Holzpfahl befestigt ist.
Seit den Morgenstunden blockieren Mitglieder mehrerer Mapuche-Gemeinden aus der Gegend die Durchfahrt. Sie fordern, über geplante Fracking-Aktivitäten konsultiert zu werden – ein Recht, das ihnen eigentlich zusteht. Anfang März autorisierte der Gouverneur der Provinz Neuquén, Rolando Figueroa, den Gas- und Ölkonzern YPF, hier unkonventionelle Erdgasvorkommen auszubeuten. Per Dekret. Der Stausee Mari Menuco ist die wichtigste Süßwasserquelle der Region. Hier kommt das Trinkwasser der Großstadt Neuquén sowie umliegender Ortschaften her. Das Fracking, so die Befürchtung der Mapuche und anderer Bewohner der Region, könnte den See und damit das Trinkwasser von Hunderttausenden Menschen verschmutzen.
Etwas abseits der Straße, im Schatten von Plastikplanen, sitzen rund 25 indigene Autoritäten auf Campingstühlen im roten Sand. Der historische Anführer der Mapuche-Konföderation von Neuquén, Jorge Nawel, leitet die Versammlung. Alle kommen zu Wort: die Lonko (»Kopf« einer Mapuche-Gemeinde) ebenso wie die Werken (Sprecher), Frauen wie Männer. Beraten wird über künftige Aktionen, die richtige Strategie in der Auseinandersetzung mit der Provinzregierung und weitere Probleme der anwesenden Gemeinden. Matetee wird umhergereicht. Immer wieder müssen die Stühle um einige Zentimeter gerückt werden, um der sengenden Sonne zu entfliehen.
Von allen im Stich gelassen
Auch wenn sie bisher verhindern konnten, dass in den als solche anerkannten indigenen Gebieten am Mari Menuco gebohrt wird: Die Mapuche fühlen sich im Stich gelassen. Nawel sagt: »Was auch immer passiert: Wir sind die einzigen, die unsere Lebensgrundlagen verteidigen werden.« Auf die oppositionellen Peronisten, die sich als linke Kraft inszenierten, oder andere ehemalige Verbündete könnten sich die Mapuche nicht verlassen. »Alle schweigen, sie sagen kein Wort«, empört sich Nawel. »Sie haben solche Angst, den kleinen Teil der Macht zu verlieren, der ihnen zugestanden wurde. Alle haben uns die Türen verschlossen, weil wir dieses Projekt in Frage stellen, das für sie von strategischer Bedeutung ist.«
Der Mari Menuco liegt in Vaca Muerta. Die Schieferformation, deren Ausdehnung ungefähr der Größe Belgiens entspricht, beherbergt die zweitgrößten unkonventionellen Gasvorkommen der Welt. Unkonventionell bedeutet, dass das Gas per Fracking gefördert werden muss. Seit 2013 kommt die Technik hier zur Anwendung, in den vergangenen Jahren immer intensiver. Alle relevanten politischen Akteure Argentiniens setzen auf die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer des Landes. Vaca Muerta mit seinen riesigen Öl- und Gasvorkommen nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Ihr Export soll es ermöglichen, die chronische Devisenknappheit des Staates zu überwinden. Besonders dem YPF-Konzern, der sich mehrheitlich im Besitz des Staates befindet, kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Laut dem Jahresbericht »Oil and Gas« wurde in Argentinien im vergangenen Jahr so viel Erdöl gefördert wie seit 23 und so viel Erdgas wie seit 21 Jahren nicht mehr. Das hat das Land zum größten Teil Vaca Muerta zu verdanken. Im Durchschnitt waren es dort 390.000 Barrel Rohöl am Tag und damit 27 Prozent mehr als 2023. Mit 70 Millionen Kubikmetern Gas am Tag stieg die Produktion im Jahresvergleich um 20 Prozent an. Für das laufende Jahr wird prognostiziert, dass noch größere Mengen aus dem Untergrund geholt werden dürften.
Gerade die Fracking-Aktivitäten haben die Region nachhaltig verändert. Bei der Technik bohren schwere Maschinen Tausende Meter in die Tiefe und später in die Breite, erklärt Yamila del Palacio. Sie arbeitet beim Observatorio Petrolero Sur, einer Beobachtungsstelle, die sich für ein Energiesystem einsetzt, das »fair, demokratisch, gesund und nachhaltig« ist, wie es auf der Webseite heißt. Del Palacio sagt: »Beim Fracking kommt eine Vielzahl an Materialien zum Einsatz. Pro Bohrung werden Millionen Liter Wasser in den Untergrund gepumpt, das mit Chemikalien und Sand vermischt ist.« So wird die Schieferformation porös gemacht, darin liegendes Öl oder Gas werden freigesetzt.
Jahrzehnte verschmutzt
Ende August begann YPF mit neuen Bohrungen in unmittelbarer Nähe des Mari Menuco. Rund 500 Förderstätten sind geplant, die Konzession läuft für 35 Jahre. »Die Bohrungen«, erklärt del Palacio, »werden dabei auch direkt unter dem Stausee verlaufen.« Meist sind die einzelnen Fracking-Stätten nur wenige Jahre in Betrieb. Danach wird das Bohrloch mit Zement verschlossen und die Gegend »renaturiert« – zumindest in der Theorie. Del Palacio erklärt, dass jedoch tonnenweise Abraum zurückbleibe. »Das stellt ein großes Problem dar. Oft wird er einfach wieder in die Erde gepumpt.« Neben den Folgen für die Umwelt, die oft über Jahrzehnte verschmutzt ist, können dadurch auch Erdbeben ausgelöst werden, so del Palacio.
Zwischen den Stauseen Mari Menuco und Los Barreales liegt die teilweise sehr schmale Landzunge Loma de la Lata. Sie gehört zur Mapuche-Gemeinde Lof Kaxipayiñ, die 33 Familien umfasst. Gabriel Cherqui sagt: »Es handelt sich fast um eine Insel.« Der 36jährige ist der Werken des Lof Kaxipayiñ. Er sagt: »Wir als Gemeinde haben beschlossen, dass wir hier keine unkonventionelle Förderung zulassen werden.« Bereits heute sei die Umwelt in der Region infolge der jahrzehntelangen Ölförderung mit konventioneller Bohrtechnik verschmutzt. Cherqui sagt, die Gegend sei »geopfert« worden. Dem kapitalistischen und kolonialen Entwicklungsversprechen. »Unsere Leute leiden schon heute darunter. Die Auswirkungen sind überall sichtbar.«
Der Werken zeigt sich optimistisch, das Fracking in der Region verhindern zu können. Er sagt: »Wir leben schon ewig hier – und das gerade dank unserer Kämpfe.« Bisher sei es den Herrschenden nicht gelungen, die Mapuche zu besiegen, »obwohl sie alles in ihrer Macht Stehende versucht haben. Sie treiben uns in die Enge, töten uns oder sperren uns weg.« Als letztes Mittel versuchten sie nun, ihnen die Lebensgrundlagen zu nehmen. »Wir aber bleiben hier und setzen uns für das ein, was für die kommenden Generationen und das menschliche Leben von Bedeutung ist«, so der 36jährige.
Martín Robledo, der die Gemeinde Lof Kaxipayiñ als Anwalt vertritt, sagt: »Die Provinzregierung ignoriert das Recht der Gemeinschaft auf vorherige, freie und informierte Konsultation.« Dieses sei sowohl in der argentinischen Verfassung als auch in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über indigene Völker festgeschrieben. Zwar habe YPF, dessen Vorstandsvorsitzender direkt von der ultrarechten Nationalregierung unter Präsident Javier Milei ernannt wird, zunächst einen Dialog über die Lizenzen begonnen. »Der wurde allerdings abgebrochen, als sie erkannt haben, dass hier eine organisierte Gemeinschaft lebt, die auf ihre Rechte besteht. Sie haben der Gemeinschaft den Rücken gekehrt.« Die Folge sei, dass die hier lebenden Menschen zum Zusehen verdammt seien, während im Namen der sogenannten Entwicklung ihre Lebensgrundlagen zerstört werden.
Repression
Die Interessen der Öl- und Gaskonzerne setzen die Verantwortlichen auch mit Repression durch. Nach dem Mittagessen nähern sich plötzlich vier Polizeibeamte den unter der gespannten Plastikplane versammelten Mapuche-Autoritäten. Der befehlshabende Polizist grüßt höflich. Dann verliest er die Anordnung einer Richterin, die Straßensperre »freiwillig« zu räumen und den Verkehr wieder freizugeben. »Sollte das nicht innerhalb einer Stunde geschehen, wird die Polizei die Räumung durchsetzen«, so der Staatsdiener. Nachdem die Einsatzkräfte wieder abgezogen sind, setzen die Anwesenden ihre Diskussion fort, als sei nichts gewesen. Heute wird es letztlich friedlich bleiben; die Polizei macht ihre Drohung nicht wahr. Das war in der Vergangenheit auch schon anders. Besonders brutal ging die Polizei im Juli vor, als sie eine friedliche Demonstration in der Provinzhauptstadt Neuquén auflöste. Mehr als 20 Personen wurden dabei verletzt und 21 festgenommen.
Dass die Sorgen der Mapuche nicht aus der Luft gegriffen sind, bestätigt sich nur wenige Tage nach dem Besuch. Bei einer Explosion bricht eine Ölleitungsbrücke, die nur wenige Meter vom Mari Menuco entfernt verläuft. Auf Videos in den sozialen Medien ist Sprühnebel zu sehen, der rund acht Meter in die Luft gepustet wird. Auch Ölpfützen sind erkennbar. Augenzeugen berichten zudem davon, dass CO2 und Gase in großer Menge ausgeströmt seien. Zwar passierte der Unfall in einem Gebiet, in dem die Unternehmen YPF und Pan American Energy Erdöl mit konventionellen Mitteln fördern. Trotzdem kommentiert Werken Cherqui wenig später im Radio: »Es ist das passiert, vor dem wir schon lange warnen.«
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