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Aus: Ausgabe vom 20.12.2025, Seite 3 / Inland
Geschützte Vogelart

Warum wird der Wasservogel abgeschossen?

Der Brutbestand der Kormorane lag in Thüringen zuletzt bei null, erklärt Jürgen Ehrhardt
Interview: Max Ongsiek
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Trotz Schutzstatus im Fadenkreuz: Kormoran auf Fischfang

Der Kormoran ist eine in EU- und Bundesrecht besonders geschützte Vogelart. Trotzdem darf er in Thüringen in Ausnahmefällen bejagt werden. Warum und unter welchen Bedingungen?

Im Freistaat regelt das die »Thüringer Verordnung über Ausnahmen von den Verboten des § 44 des Bundesnaturschutzgesetzes und zur Übertragung einer Ermächtigung«, kurz: die Thüringer Kormoranverordnung, KormVo. Diese besagt, dass Kormorane zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden sowie zum Schutz der heimischen Tierwelt unter bestimmten Umständen getötet werden dürfen. Dies darf auch durch die Betreiber von bewirtschafteten Anlagen der Teichwirtschaft und der Fischzucht geschehen oder beauftragt werden.

Der Naturschutzbund, Nabu, Thüringen teilte jüngst mit, dass das Umweltministerium eine Änderung der KormVo plant. Auch Hobbyangler sollen die Vögel dann unter bestimmten Bedingungen abschießen dürfen. Wie und auf welcher Grundlage begründet das Ministerium dieses Vorhaben?

Thüringens Umweltminister Tilo Kummer, BSW, begründet die Novellierung der KormVo mit angenommenen Ertragseinbußen der Fischereiwirtschaft und einem angeblichen negativen Einfluss des Kormorans auf die Fischbestände. Die notwendigen Belege, die für eine derartige Novellierung notwendig sind und die diese rechtfertigen sollen, werden allerdings nicht vorgelegt. Hobbyangler sind nicht wirtschaftlich von den Erträgen abhängig, und das rechtfertigt keinen Abschuss von besonders geschützten Vogelarten.

Nach Angaben des Thüringer Landesamtes für Statistik lag die jährliche Fischproduktion von 2011 bis 2024 stabil bei durchschnittlich 816 Tonnen. Dem gegenüber werden jährlich lediglich rund 42 Tonnen Fisch von Kormoranen in Thüringer Winterquartieren gefressen, während Hobbyangler im selben Zeitraum durchschnittlich 393 Tonnen Fisch aus Angelgewässern entnehmen. Auch Thüringer Fischereibetriebe begründen die Forderung nach Abschuss des Kormorans wirtschaftlich. Wie passt das zusammen?

Die Zahlen sprechen hier eine deutliche Sprache. Die jährliche Fischproduktion bleibt in Thüringen über Jahre hinweg stabil. Zudem ist die Novellierung der Verordnung für die Fischereibetriebe gar nicht nötig, weil diese sowieso schon an ihren Gewässern laut der derzeitigen Verordnung Kormorane schießen dürfen.

Die Schwierigkeiten, mit denen die Fischereibetriebe in Thüringen zu kämpfen haben, sind aber vielfältig. Der Klimawandel, Wassermangel, die Qualität der Gewässer und der Absatz der regionalen Produkte spielen hier eine wichtige Rolle. Will man den Betrieben ernsthaft helfen, sollte das Land Maßnahmen ergreifen, um sie wirtschaftlich zu stärken und den heimischen Absatz zu sichern, anstatt Kormorane zu töten.

Weshalb fordern der Nabu und andere Verbände die komplette Streichung der Kormoranverordnung?

Der Brutbestand der Kormorane lag in den vergangenen Jahren in Thüringen bei null. Anstatt, dass Thüringen den Schutz der Vögel sicherstellt, werden jährlich rund 1.000 Kormorane abgeschossen. Das entspricht etwa den durchschnittlichen Beständen an den Schlafplätzen der zurückliegenden Jahre von Oktober bis zum März. Laut Thüringer Kormoranbericht lässt sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen den jährlichen Abschüssen und der mittleren Bestandsentwicklung der in Thüringen überwinternden Kormorane erkennen. Jährlich werden diese Lücken vermutlich durch Zuzügler von Kormoranen aus anderen Ländern wieder ausgeglichen.

Wie erklären Naturschutzexperten dann die schwindenden Fischbestände in Thüringen?

Die Gründe für den Rückgang der heimischen Fischarten sind vielfältig. Der Kormoran hat darauf nur einen geringen Einfluss. Dies belegen zahlreiche Studien. Andere Einflussgrößen, wie die Fischentnahme durch Hobbyangler, aber auch der ökologische Zustand der Gewässer spielen hierbei eine viel größere Rolle. Die Aktivitäten von Hobbyanglern wirken sich etwa zehnmal stärker auf die Fischbestände aus als die Nahrungssuche des im Winter in Thüringen vorkommenden Kormorans.

Jürgen Ehrhardt ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Thüringer Naturschutzbund Deutschland e. V.

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