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Aus: Ausgabe vom 12.12.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
EU-Asylpolitik

Hände schütteln, Hände waschen, abschieben

Innenminister der EU-Mitgliedstaaten einigen sich auf weitere Verschärfung der gemeinsamen Asylpolitik
Von Yaro Allisat
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Ein marokkanischer Junge wird nach dem Grenzübertritt von spanischen Soldaten aufgegriffen (Ceuta, 18.5.2021)

Es handele sich um eine »Verlagerung von Asylpolitik hin zu Abschiebungslogistik« sowie um eine »stillschweigende Legalisierung von Zurückweisungen«. Kaum war die Einigung der EU-Innenminister über die Rückführungsrichtlinie bekanntgeworden, übten Hilfsorganisationen lautstark Kritik daran. Am Montag trafen sich die Ressortchefs, um die letzten Bausteine der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu besprechen. Diese fallen im Vergleich zu GEAS-Reform, gegen die bereits beim Beschluss des EU-Parlaments im April 2024 EU-weit auf den Straßen protestiert worden war, weitaus härter aus. Nach Einschätzungen einiger Organisationen sowie von Juristen verletzt das Ergebnis des Innenministertreffens Menschen- und Grundrechte sowie die Genfer Flüchtlingskonvention.

Besprochen wurden unter anderem der sogenannte Europäische Solidaritätsmechanismus sowie die neue Abschieberichtlinie. Eine der zentralen Neuregelungen des GEAS von 2024 ist, dass keinen Schutz in der EU erhalten soll, wer durch einen »sicheren Drittstaat« eingereist ist. Seit Jahren führt die EU bereits Verhandlungen über Deals mit möglichen Kandidaten für die entsprechende Liste, damit Geflüchtete dorthin abgeschoben werden können. Unerheblich ist dabei, ob die Betroffenen über den Transit auf der Flucht hinaus irgendeinen Bezug zu dem Land haben.

Die Auswirkungen einer immer weiteren Verschärfung der Asylregelungen, wie sie auch am Montag beschlossen wurde, erleben Aktivisten der Hilfsorganisation »No Name Kitchen« (NNK) täglich hautnah mit. So sei beispielsweise ein 16jähriger Junge aus dem Sudan, »der ohne Dolmetscher in einem bulgarischen Internierungslager« festsitze, fortan davon bedroht, in ein Zentrum »in Tunesien oder Ruanda geschickt« zu werden – während die Familie des Jungen in Berlin auf ihn warte und keine Ahnung habe, wo er sich befindet, wie ein Sprecher gegenüber junge Welt am Mittwoch erklärte. Ebenso könne es einer Frau aus Guinea in Italien ergehen, »die einen Termin verpasst, weil sie unter Panikattacken leidet und das Haus nicht verlassen kann«. Sie könne aus der EU ausgewiesen werden, »ohne Anwalt und ohne Berufungsmöglichkeit«. »No Name Kitchen« versorgt nach eigenen Angaben Menschen auf der Flucht mit Essen, grundlegender Gesundheits- sowie Hygieneversorgung und leitet »Search and Rescue«-Operationen ein, um Menschen in akuten Notlagen oder Lebensgefahr zu retten.

Die Abschieberichtlinie sieht auch die Errichtung von Internierungslagern vor, die man euphemistisch »Rückkehrzentren« (»Return Hubs«) nennt. Dort sollen Asylsuchende, deren Antrag negativ beschieden wurde, außerhalb der EU-Grenzen auf die Abschiebung in einen Drittstaat ausharren. Mit ähnlichen Projekten zur kompletten Auslagerung der Asylverfahren waren Großbritannien (in Ruanda) und Italien (in Albanien) bereits an ihren nationalen Gerichten gescheitert. Diese sahen darin offensichtliche Grundrechtsverletzungen. Derzeit planen die Regierungen der Niederlande und Italiens solche Zentren. Rom überlegt offenbar, die bisher als rechtswidrig eingeschätzten Zentren in Albanien in jene »Rückkehrzentren« umzuwandeln. Laut einer Studie der Uni Graz haben Aufbau und Betrieb der bestehenden Lager innerhalb von fünf Jahren 800 Millionen Euro gekostet.

Vorgesehen im GEAS von 2024 sind zudem geschlossene Camps an den EU-Grenzen, in denen der Asylantrag von Menschen aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote im Schnellverfahren unter haftähnlichen Bedingungen geprüft werden soll. Auch Kinder und andere vulnerable Personen sind davon nicht ausgeschlossen. Entsprechend sieht die neue Abschieberichtlinie auch eine Ausweitung der Liste von »sicheren Drittstaaten« vor. Wer aus einem solchen Staat kommt, ganz egal, ob er zu einer verfolgten Minderheit gehört, dessen Asylantrag wird in der Praxis inhaltlich nicht geprüft – vor allem für ethnische Minderheiten oder LGBTQ-Personen ein großes Hindernis.

Im neuen »Solidaritätsmechanismus« werden zudem Umsiedlungen innerhalb der EU geplant. So sollen im zweiten Halbjahr 2026 21.000 erfolgen – oder alternativ 420 Millionen Euro an Strafzahlungen geleistet werden. Für die BRD als mögliches Zielland der Umverteilung von Menschen, die Schutz suchen, hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bereits angekündigt, man wolle weder Geld zahlen, noch Menschen aufnehmen.

Die EU-Migrationspolitik gießt seit Jahren eine faktisch erkennbar menschenrechtswidrige Praxis immer wieder in Gesetzesform. Zentraler Treiber ist dabei unter anderem die BRD. So sagte Dobrindt am Montag: »Es hat in der Vergangenheit schon Versuche für solche Rückkehrzentren gegeben, die nicht alle erfolgreich waren. Aber jetzt gibt es eine neue Chance. Und auch Deutschland wird versuchen, die zu ergreifen – gemeinsam mit anderen Partnerländern.« Schon im Koalitionsvertrag der Bundesregierung hatten CDU/CSU und SPD die »Streichung des Verbindungselements, um Rückführungen und Verbringungen zu ermöglichen«, vereinbart. Am Freitag hatte der Bundestag beschlossen, dass Staaten nun von der Regierung per Rechtsverordnung, also ohne Zustimmung des Bundesrats, als »sichere Drittstaaten« eingestuft werden können. Zudem legte die Regierung einen Entwurf für die nationale Umsetzung des GEAS vor.

Zahlreiche Organisationen kritisierten, dass der Entwurf einen besonders repressiven und menschenfeindlichen Weg darstelle. Auch für NNK ist klar, dass das neue System »mehr Inhaftierungen, mehr Angst, mehr getrennte Familien, mehr Ausgaben aus öffentlichen Mitteln, mehr Gewinn für Sicherheitsunternehmen und möglicherweise mehr Versuche illegaler Grenzübertritte« bedeute. »No Name Kitchen« fordere daher, keine »Return Hubs« zu errichten und »Menschen zu helfen, anstatt sie verschwinden zu lassen«.

Hintergrund: Asylpolitik der EU

Seit rund 50 Jahren steigt die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Armut oder Klimakatastrophen fliehen müssen, kontinuierlich. Zu der Entwicklung beigetragen hat unter anderem auch die US-Notenbank, die als eine zentrale Institution des Dollar-Systems mit ihren Entscheidungen die Volkswirtschaften ganzer Länder anderswo auf dem Globus in die Krise stürzen kann. So geschehen durch den »Volcker-Schock«, einer Anhebung des Leitzinses von 1979 bis 1982 um 20 Prozent. Insbesondere die Länder des globalen Südens sowie ab 1989 die früheren Ostblockstaaten stürzte dies nachhaltig in die Schuldenfalle. Hinzu kamen sogenannte Anpassungsprogramme der unter europäischer Führung stehenden Weltbank sowie die Zuspitzung der industriell beschleunigten Klimakrise und diverse geopolitische Spannungen.

Die vermehrten Fluchtbewegungen gingen einher mit einer Verschärfung von Visaregelungen durch die Staaten des globalen Nordens, welche es vor allem ärmeren und mittelständischen Menschen verunmöglichte, auf legalen Wegen nach Europa oder Nordamerika zu gelangen. Von den 1970ern bis 2022 erhöhte sich die Zahl der mit Zäunen oder Mauern abgesicherten Grenzlinien von zehn auf 74, vor allem zwischen Staaten, zwischen denen die soziale Ungleichheit besonders hoch ist. Allein in der BRD hat in den vergangenen Jahren unter anderem mit dem Abschiebegesetz und der temporären Grenzschließung sowohl auf gesetzlicher als auch praktischer Ebene eine deutliche Verschärfung des Asylrechts stattgefunden.

Bereits seit den 1990er Jahren protestierten Geflüchtete in unterschiedlichen Staaten der EU und der europäischen Peripherie immer wieder gegen die repressive Migrationspolitik. Dazu zählte beispielsweise der Marsch von Ungarn nach Deutschland im »Sommer der Migration« von 2015. Mittlerweile habe sich der »Herbst der sozialen Kälte« zum »Winter der Eiszeit« entwickelt, erklärte die EU-Abgeordnete Özlem Alev Demirel (Die Linke) gegenüber jW. Der Kompromiss der EU-Innenminister sei ein »Schandfleck auf der Werteweste der EU« und »nichts weiter als der nächste Schritt zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl«. Neben den »vielen Widerlichkeiten«, wie der Sanktionierung von Geflüchteten, sei die geplante Abschiebung in Lager an den EU-Außengrenzen aus Sicht der Linke-Abgeordneten »das wohl dreckigste Mittel, Menschen loszuwerden, die Zuflucht suchen vor Krieg, Hunger, Unterdrückung oder Verfolgung«. (ya)

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