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Aus: Ausgabe vom 27.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Arbeiterbewegung in Italien

»Die Regierung verachtet die Armen«

Über erfolgreiche Blockaden von Waffenlieferungen in italienischen Häfen und über den politischen Zustand in Italien. Ein Gespräch mit Cinzia Della Porta
Von Daniel Bratanovic
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Kundgebung im Hafen von Neapel anlässlich eines Streiks nach Israels Angriff auf die Gazaflotte (5.10.2025)

Italienische Hafenarbeiter, vor allem am Hafen von Genua, haben in der jüngeren Vergangenheit die Verladung und den Transport von Waffen verhindert. Wie läuft so etwas ab?

Solche Blockaden haben eine gewisse Tradition. Aber in der jüngeren Zeit wurde nicht nur der Schiffsverkehr behindert, um Waffenlieferungen zur Unterstützung des Genozids in Palästina zu unterbinden, sondern bereits vorher, nämlich mit Beginn des Ukraine-Kriegs, als Italien ein wichtiger Waffenlieferant war. Die Blockaden fanden zunächst nicht an den Häfen statt. Einen Monat nach Kriegsbeginn wurde zuerst am Flughafen Pisa die Verladung von Waffen verhindert. Als aber die Hafenarbeiter erkannten, dass Schiffe mit Containern voller Waffen kamen, haben auch sie sich geweigert, diese Ladung zu löschen beziehungsweise das jeweilige Schiff im Hafen überhaupt erst anlegen zu lassen.

Waren diese Aktionen spontan oder hat Ihre Gewerkschaft dazu aufgerufen?

Ja, wir haben die Aktionen organisiert. Diese Arbeiter sind Mitglieder unserer Gewerkschaft, der Unione sindacale di base. Sie organisiert diese Arbeiter, die am Hafen von Genua, aber auch am Flughafen von Pisa den Transport von Kriegsgerät verhindert haben. Und nicht nur dort: Als Beschäftigte am Frachtflughafen Brescia erfahren hatten, dass Waffen verschickt werden sollten, haben wir unverzüglich zum Streik aufgerufen, um die dortigen Arbeiter zu unterstützen, die sich spontan weigerten, die Waffen zu verladen. Auch an anderen Orten haben wir diese Kampfform etabliert, zum Beispiel am Hafen von Livorno, wo es im September und Oktober einen intensiven Kampf gab, der verhinderte, dass israelische Schiffe anlegen konnten. Es gab Blockaden in Civitavecchia, es gab Blockaden in Triest.

Wenn ein mit Waffen beladenes oder zu beladenes Schiff einen Hafen nicht anlaufen kann, dann sucht es sich einfach einen anderen Hafen, oder nicht?

Wir haben inzwischen ein internationales Netzwerk aufgebaut. Im Frühjahr konnte ein mit Waffen beladenes Schiff nicht in Marseille anlegen. Die dortigen Hafenarbeiter informierten daraufhin unsere Arbeiter. Diese Art der Kommunikation ist natürlich sehr wichtig. Wir als USB stehen heute mit den Beschäftigten vieler Häfen im Mittelmeerraum in Kontakt. So auch mit den Hafenarbeitern von Piräus, die sich ebenfalls schon mehrfach geweigert haben, entsprechende Schiffe anlegen oder beladen zu lassen. Beschäftigte dort haben sich die Route angesehen, die dem Schiff vorgegeben wurde, und jene, die es im Zweifel alternativ nehmen sollte, und uns dann benachrichtigt. Wir haben ein Kommunikationsnetzwerk, das uns ermöglicht, diese Schiffe zu verfolgen: Was machen sie, wohin fahren sie? Und so setzen sich die Arbeiter von Gewerkschaften wie der unseren untereinander in Verbindung, so dass auch an anderen Orten blockiert beziehungsweise aus Solidarität gestreikt werden kann: Wird an einem Hafen gestreikt oder blockiert, blockieren Arbeiter anderer Häfen ebenfalls. Zum Zwecke einer besseren Vernetzung haben wir Ende September in Genua ein internationales Treffen organisiert, zu dem wir Hafenarbeiter aus verschiedenen Häfen, vor allem des Mittelmeerraums, eingeladen haben. Geplant ist ein internationaler Aktionstag, der in allen Häfen gleichzeitig stattfinden soll. Das kann ein Streik sein, aber auch eine andere Art von Aktion, denn in Deutschland etwa ist der politische Streik bekanntermaßen verboten.

Die USB ist eine antimilitaristische Gewerkschaft. Wie verhält es sich mit den anderen großen Gewerkschaften Italiens, zum Beispiel mit der CGIL?

Die USB ist eine internationalistische, konföderale Klassengewerkschaft, die gegen den Krieg kämpft. Die CGIL nimmt seit 20, 30 Jahren eine andere Rolle ein. Deren Mitglieder mögen mehrheitlich für den Frieden sein, aber die Gewerkschaft selbst begleitet und betreut die Prozesse, die in Italien stattfinden, und das heißt, sie wirkt als Bindeglied in einer Situation, in der Krieg als Mittel erachtet wird, der chronischen Wirtschaftskrise des Westens zu entkommen. In dieser Frage hat die USB eine klare Position, die CGIL aber eben nicht, was daran abzulesen ist, wie sie sich in den vergangenen zwei Jahren positioniert hat. Sie hat sich politisch auf die Seite der Mitte-links-Allianz, des Campo largo, eines Zweckbündnisses aus Partito democratico und Cinque Stelle, geschlagen, das keine klare und eindeutige Haltung zur Frage von Krieg und Frieden vertritt. Denn heute gegen den Krieg zu sein, bedeutet natürlich, nein zu sagen zum Genozid in Palästina, nein zu sagen zur Lieferung von Waffen in die Ukraine, nein zu sagen zur Aufrüstung der Europäischen Union, nein zu sagen zur NATO. Diese Klarheit besteht aber weder beim Campo largo noch bei der CGIL.

Wie äußert sich das praktisch?

Die USB hatte für den 22. September zum Generalstreik ausgerufen. Das stieß auf eine erhebliche Resonanz. Die CGIL entschied daraufhin, ebenfalls zum Generalstreik aufzurufen, allerdings drei Tage früher. Das Ziel war, unseren Streik zu schwächen. Das sorgte für erheblichen Ärger auch unter Arbeitern der CGIL. Der Streik am 19. September verlief also nicht gut für sie. Dann kam unser Streik am 22. September, der eine riesige Sache war und bei dem Millionen von Menschen in ganz Italien auf die Straße gingen. Daraufhin hat sich die CGIL bei uns gemeldet, um mit uns gemeinsam in Solidarität mit der Gaza-Flottille zu streiken. Das ist dann auch geschehen am 3. Oktober. Die Sache bleibt aber ziemlich komplex und widersprüchlich. Denn nach diesem Streik hat die CGIL ihre alte Arbeit wieder aufgenommen, nämlich ziemlich beschissene Verträge für die Arbeiter auszuhandeln, die lächerliche Lohnerhöhungen vorsehen. Ich sage das, weil wir auch an dieser Front in den westlichen Ländern einen Krieg erleben, nämlich gegen die Arbeiter, gegen unsere Klasse. Kurzum: Die CGIL nimmt keine klare und eindeutige Position gegen diese Kriege ein.

Apropos, die amtierende Rechtsregierung unter Giorgia Meloni wirkt ziemlich stabil. Woher kommt das? Welche Politik verfolgt sie gegenüber den Lohnabhängigen?

Ja, stimmt, sie zeigt sich ziemlich stabil. Stabilität bedeutet auch, dass die Regierung Meloni an den politischen Zielen der Europäischen Union festhält und also den Kurs der Aufrüstung und der Zurichtung der Ökonomie auf Kriegsvorbereitung einschlägt. Und sie setzt fort, was die vorangegangenen Mitte-links-Regierungen verfolgt haben und was ich als »auch das ist Krieg« bezeichnet habe: den Angriff auf die Klasse der Lohnabhängigen in Italien. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde von seiten der Politik dafür gesorgt, dass die Löhne in Italien zu den niedrigsten in Europa gehören und trotz Inflation und hoher Lebenshaltungskosten nach der Pandemie und nach Beginn des Krieges in der Ukraine niedriger sind als vor 20 Jahren. Die Politik der niedrigen Löhne, der Kürzungen im Sozialstaat, im Gesundheits- und Bildungswesen wird schlichtweg fortgesetzt. Nicht zu vergessen ist das enorme Ausmaß der Privatisierungen der vergangenen 30 Jahre. Darin war Italien einfach meisterhaft. Privatisierung bedeutete nicht zuletzt eine Verschlechterung der Arbeitsverträge und damit der Arbeitsbedingungen. Nicht nur die Löhne sanken, sondern auch die Arbeitssicherheit. In Italien gibt es inzwischen pro Tag drei Arbeitsunfälle mit tödlichem Ausgang. Die Regierung Meloni hat diese Politik absolut vorbildlich weiterverfolgt. Die Vorgängerregierung hatte immerhin eine Art Grundsicherung eingeführt, die, wie unzulänglich auch immer, von der neuen Regierungsmannschaft sogleich abgeräumt wurde. Man kann sagen, die amtierende Regierung verachtet die Armen.

Wie stellt sich angesichts dieser Politik die italienische Linke auf?

Letztlich bleibt die italienische Linke dem bestehenden System verhaftet. Sie kritisiert die Aufrüstung und die Kriegsertüchtigung der Europäischen Union, sie stellt aber die Logik dieses Systems nicht in Frage. Sie kritisiert nicht, dass weiterhin Waffen an die Ukraine geliefert werden, sagt kaum etwas gegen die Kürzungen im Gesundheitssystem und hat keine Antworten auf die Umwandlung großer Teile der Wirtschaft von der Herstellung ziviler Güter auf militärische. Eine ernsthafte Linke muss sich aber jenseits der Logik eines Systems der Ausbeutung und des Krieges positionieren. Ob es um den Krieg in Gaza geht oder um die Lage der arbeitenden Klassen: In der Phase, in der wir uns befinden, gibt es keinen Spielraum mehr, keine Alternative zur radikalen Verweigerung.

Cinzia Della ­Porta ist Mitglied der italienischen Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB) und dort verantwortlich für internationale Beziehungen. Sie spricht auf der 31. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt am 10. Januar 2026 in Berlin-Wilhelmsruh zum Thema »Wiederbewaffnung und Kriegswirtschaft: Die Rolle einer klassenorientierten Gewerkschaft«.

Die USB ruft für Freitag, den 28. November zum landesweiten Streik gegen die Kriegsfinanzierung auf.

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