Israels Rückhalt bröckelt
Von Knut Mellenthin
Das Blatt scheint sich zu wenden. »Unterstützung der Amerikaner für Israel nimmt dramatisch ab«, war ein langer Artikel überschrieben, der am 29. September in der New York Times erschien. Die Tageszeitung berichtete über die Ergebnisse einer landesweiten Umfrage, die sie gemeinsam mit der Meinungsforschungsabteilung der New Yorker Siena University unter 1.313 registrierten Wählern durchgeführt hatte.
Zum ersten Mal, seit die New York Times 1998 diese Frage zu stellen begann, hätten mehr Befragte Partei für die Palästinenser als für Israel ergriffen, hieß es in dem Artikel. Unmittelbar nach dem von der Hamas angeführten Angriff am 7. Oktober 2023 hätten 47 Prozent sich auf die Seite Israels gestellt und nur 20 Prozent auf die der Palästinenser. Bei der jüngsten Umfrage seien die Verhältnisse jedoch ausgeglichen gewesen: 35 Prozent für die Palästinenser, 34 Prozent für Israel. 31 Prozent der Befragten erklärten, dass sie unsicher seien oder sich nicht zwischen beiden Seiten entscheiden wollten.
Mehrheit für Frieden
Eine Mehrheit der Wähler sei jetzt gegen weitere wirtschaftliche und militärische Hilfe für Israel. 60 Prozent seien dafür, dass Israel den Krieg beendet, auch wenn nicht alle Geiseln freikämen oder die Hamas nicht »ausgeschaltet« würde. 40 Prozent stimmten der Meinung zu, dass Israel im Gazastreifen absichtlich Zivilpersonen töte – doppelt so viele wie bei einer Umfrage im ersten Kriegsjahr.
Bei Wählern unter 30 sei die Ablehnung weiterer Hilfe für Israel mit 70 Prozent besonders stark. Große Unterschiede gebe es auch zwischen den Wählern der Republikaner und denen der Demokraten. Kurz nach dem 7. Oktober seien deren Sympathien zwischen Israel und den Palästinensern mit 34 und 31 Prozent ziemlich gleichmäßig verteilt gewesen. In jüngster Zeit aber hätten 54 Prozent der zu den Demokraten tendierenden Wähler erklärt, dass sie mehr Sympathie für die Palästinenser hätten, während nur 13 Prozent Israel den Vorzug gaben.
Ganz anders äußerten sich die Wähler der Republikaner: 64 Prozent haben mehr Sympathie für Israel, nur neun Prozent für die Palästinenser. Das bedeutet dennoch eine Verringerung des israelischen Sympathievorsprungs um zwölf Prozentpunkte seit 2023. 70 Prozent der Republikaner-Wähler befürworten auch jetzt noch weitere Hilfe für Israel. Immerhin rund ein Drittel geht davon aus, dass die israelischen Streitkräfte nicht genug tun, um die Tötung von Zivilisten zu vermeiden.
Aufgrund einer früheren Umfrage hatte der Sender CNN schon am 18. Juli berichtet, dass nur noch 23 Prozent der US-Amerikaner Israels Militäraktionen in Gaza für »voll gerechtfertigt« hielten. Das ist ein Verlust von 27 Prozentpunkten gegenüber der ersten Zeit nach dem 7. Oktober. Weitere 27 Prozent meinen, dass das Vorgehen der israelischen Streitkräfte nur teilweise gerechtfertigt sei, und 22 Prozent betrachten es als gar nicht gerechtfertigt. Deren Anteil hatte im Oktober 2023 nur bei acht Prozent gelegen.
Enorme Sympathieeinbußen
Die britische Tageszeitung Guardian zitierte am 8. Oktober eine Untersuchung des bekannten Instituts Pew Research Center, wonach 59 Prozent der US-Amerikaner »eine negative Sicht« auf Israel hätten – eine Steigerung um 17 Prozentpunkte seit 2022. Die Bedeutung dieser Aussage bleibt allerdings unklar, denn derselben Umfrage zufolge sind nur 39 Prozent der Meinung, dass Israel bei seinem Krieg in Gaza zu weit gehe.
Aus allen Untersuchungen ergibt sich eindeutig, dass Israel in der Bevölkerung seines wichtigsten Verbündeten und Unterstützers während der vergangenen Jahre enorm an Sympathie eingebüßt hat. Es zeigt sich geradezu ein Stimmungsumschwung zugunsten der palästinensischen Seite. Bei realistischer Betrachtung stellt sich das als natürliche Folge der Entscheidung Israels dar, den 7. Oktober 2023 für eine schon länger geplante und vorbereitete »große Abrechnung« mit den Palästinensern zu nutzen, deren Folgen die kommenden 50 Jahre prägen sollten, wie Premierminister Benjamin Netanjahu damals öffentlich erklärte. Seit Kriegsbeginn wurden mehr als 70.000 Bewohner Gazas getötet, darunter eine große Mehrheit von Kindern, Frauen und anderen Nichtkombattanten. In Israel herrscht trotzdem der Standpunkt vor, man müsse auf den weltweiten Sympathieverlust am besten mit der verschärften Betonung des eigenen »Rechts auf Selbstverteidigung« antworten.
MAGA-Lager gespalten
In den USA stellt in diesem Zusammenhang nicht einmal die um Donald Trumps Parole »Make America Great Again« (MAGA) gescharte Massenbasis noch eine zuverlässige Domäne der zionistischen Propaganda dar. In der Jerusalem Post beschäftigte sich am 14. Oktober ein Kommentator deshalb mit der Frage, »was man tun soll, wenn MAGA sich 60 zu 40 gegen Israel spaltet«. Der Autor machte für die Probleme einen »neuen populistischen Flügel« der Trump-Basis verantwortlich, bestehend aus »jungen Influencern, Isolationisten und Sektoren der nationalistischen Onlinerechten«. Als Gegenmittel empfahl er die Schaffung einer »virtuellen israelischen Staatsbürgerschaft«, für die er »weltweit Hunderte Millionen Menschen, die Israel lieben«, als Interessenten vermutet.
Hintergrund: Jüdische US-Bürger zu Israel
»Die Mehrheit der Juden meint, dass Israel Kriegsverbrechen begeht – und 39 Prozent sprechen von Völkermord –, wobei sie oft zwischen dem Land und seiner Führung unterscheiden.« Diese Aussage bezieht sich ausschließlich auf die in den USA lebenden Juden. Überraschend ist sie dennoch. Sie stand in der Washington Post, die dem Thema am 6. Oktober einen ausführlichen, vielfach zitierten Artikel widmete. Die renommierte Tageszeitung bezog sich auf eine Umfrage, die sie in der ersten Septemberwoche bei 815 jüdischen US-Amerikanern durchgeführt hatte.
Die Beurteilung des israelischen Krieges im Gazastreifen sei fast gleichmäßig aufgespalten, stand in dem Artikel: 46 Prozent der Befragten billigten ihn, 48 Prozent lehnten ihn ab. Dabei zeige sich aber ein starker Unterschied zwischen den Generationen. 50 Prozent der Gruppe zwischen 18 und 34 Jahren stimmten der Bezeichnung Völkermord zu, während dieser Anteil bei älteren Personen auf 30 Prozent sinke. Stark unterschieden sich die Wertungen auch aufgrund parteipolitischer Orientierung, Geschlecht und Bildung. 80 Prozent der jüdischen Anhänger der Republikaner, aber nur 30 Prozent der Demokraten unterstützten den Krieg. Bei der Frage nach der Verantwortung für das Andauern des Krieges beschuldigten 91 Prozent die Hamas, 80 Prozent Israel, 86 Prozent Premierminister Benjamin Netanjahu und 61 Prozent die USA.
Als geradezu dramatisch beschrieb die englischsprachige israelische Tageszeitung Jerusalem Post am 4. Dezember vorigen Jahres die Stimmung unter jüdischen US-Amerikanern zwischen 14 und 18. 37 Prozent sympathisierten demnach mit der Hamas, wobei sich das weit rechts einzuordnende Blatt auf eine Untersuchung des Ministeriums für Angelegenheiten der Diaspora, das zugleich auch für die Bekämpfung des Antisemitismus zuständig ist, bezog. Unter den 14jährigen hätten sogar 60 Prozent »Sympathiegefühle« für die Hamas, die sich mit dem Älterwerden verlören und nur noch bei zehn Prozent der 18jährigen festzustellen seien. Zudem sympathisierten 60 Prozent der gesamten Altersgruppe zwischen 14 und 18 mit der »palästinensischen Sache«.
Dasselbe Ministerium kam aufgrund einer anderen Umfrage zu dem Ergebnis, dass 95 Prozent der Israelis – gemeint war offensichtlich nur deren jüdischer Teil – von der Diaspora volle Unterstützung während des Krieges verlangten. (km)
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Hatem Khaled/REUTERS03.11.2025Waffenstillstand, nicht Frieden
Pacific Press Agency/IMAGO03.11.2025Einträgliches Geschäft
imago images / PEMAX16.10.2025»Es gibt einen beängstigenden Opportunismus«