Schweiz verlässt Sonderweg
Von Dominic Iten
Bei dem, was die Schweiz, Liechtenstein und die USA Mitte November unterzeichneten, handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Absichtserklärung – mit Blick auf Trumps Neigung zu abrupten Kurswechseln ist also Vorsicht angezeigt. Auch von seiten der Schweiz könnte der Zolldeal noch gekippt werden – die sozialdemokratische SPS hat bereits eine entsprechende Petition lanciert. Dennoch stehen die Chancen gut, dass die 39prozentigen US-Zölle vorerst abgewendet sind.
Gemäß Absichtserklärung begrenzen die USA ihre Zölle für die Schweiz auf 15 Prozent – und damit auf EU-Niveau. Im Gegenzug verpflichten sich Schweizer Unternehmen, bis 2028 rund 200 Milliarden US-Dollar in den USA zu investieren – etwa in den Bereichen Pharma, Infrastruktur und Aviatik. Zugleich baut die Schweiz ihre Zölle auf zahlreiche US-Güter ab: auf sämtliche Industrieprodukte, auf Fisch und Meeresfrüchte, auf nicht-sensitive Agrarprodukte – und legt zollfreie Kontingente fest, unter anderem für Rindfleisch, Bisonfleisch und Geflügel.
Die politische Führung der Verhandlungen lag bei Wirtschaftsminister Guy Parmelin – von Trump selbst wurde er aber nicht empfangen. Dieser traf sich statt dessen mit führenden Vertretern des Schweizer Kapitals. Tatsächlich kam es zum Durchbruch in den Zollverhandlungen erst, nachdem eine Delegation von Konzernchefs im Oval Office vorstellig geworden war – Rolex-Tischuhr und Goldbarren als Geschenke inklusive.
Für das Schweizer Bürgertum gilt das Motto »Whatever works«. Die rechtskonservative SVP feierte den Deal als großen Erfolg: »Katastrophe abgewendet«, Schweizer Exportindustrie gerettet. Auch Wirtschaftsverbände und Medien zeigten sich erleichtert, die Boulevardzeitung Blick titelte gar, die Schweiz habe den »Trump-Code geknackt« und ein »Zollwunder« geschaffen.
Die SPS hingegen stört sich an der Intransparenz des Deals. Demokratische Regeln seien umgangen, zentrale Versprechen gegenüber den USA vom Bundesrat nicht kommuniziert worden. Weder die Konzernchefs noch der Bundesrat hätten den Preis des Deals offengelegt, die Schweiz habe sich den »Deal mit dem Neofaschisten Trump« 200 Milliarden und 15 Prozent Zölle kosten lassen, so SP-Co-Präsident Cédric Wermuth.
Tatsächlich berichteten die NZZ am Sonntag und die Sonntagszeitung von deutlich weiter reichenden Zugeständnissen, als der Bundesrat kommuniziert hatte – vor allem im sicherheitspolitischen Bereich. Etwa wurde eine engere Zusammenarbeit bei Wirtschaftssicherheit, Sanktionen, Exportkontrollen und Investitionskontrollen vereinbart – also bei zentralen Instrumenten der US-Außen- und Sicherheitspolitik. Auch auf die regulatorischen und steuerpolitischen Zugeständnisse, etwa bei der Digitalsteuer, hatte der Bundesrat nicht hinweisen wollen: Gemäß Absichtserklärung sollen auf Dienstleistungen von Konzernen wie Google, Meta oder Amazon weiterhin keine Digitalsteuern erhoben werden.
Damit gewinnt der Deal eine sicherheits- und geopolitische Dimension, die Regierung geht einen weiteren Schritt in Richtung westlicher Block. Die SPS nutzte diesen umgehend, um für die EU zu werben: Im Gegensatz zu den USA würden die EU-Schweiz-Abkommen, die »Bilateralen III«, »Wohlstand und Lohnschutz« sichern, meinte Wermuth. Was ihm dabei entgeht: Es ist nicht alleine Trump, der an einer Wirtschaftsordnung arbeitet, in der es für Ausnahmen keinen Platz mehr geben soll. Gerade die Verhandlungen um die »Bilateralen III« zeigen: Auch die EU macht die Räume enger, schließt die Reihen und treibt die Blocklogik voran.
Für die Schweiz, deren vorteilhafte Stellung in der globalisierten Welt wesentlich auf Ausnahmen beruht, eine unbequeme Wahrheit. Der neueste Zolldeal bildet weniger das Ende eines Streits als das nächste Kapitel einer größeren Auseinandersetzung darüber, was die Schweiz sein will – beziehungsweise noch sein kann: ein Land, das seine Sonderwege verteidigt, oder eine integrierte Exportökonomie, die bereit ist, in heiklen Bereichen Zugeständnisse zu machen, um sich den Zugang zu großen Märkten zu sichern.
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