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Aus: Ausgabe vom 21.11.2025, Seite 4 / Inland
Beschwerde gegen Hausdurchsuchung

Denkzettel für die Polizei

Karlsruhe: Schutz der Wohnung vor Durchsuchung gilt auch in Geflüchtetenunterkünften
Von Kristian Stemmler
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Die Staatsgewalt darf auch bei Geflüchteten nur mit Segen des Gerichts die Tür einschlagen (Berlin, 25.2.2021)

Seit Jahren werden die Rechte von Geflüchteten immer mehr beschnitten, werden Abschiebungen forciert, sei es unter einer von der SPD oder der CDU geführten Bundesregierung. Vor diesem Hintergrund muss ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, als großer Erfolg eingeordnet werden. Das höchste Gericht der BRD entschied, dass der Schutz der Wohnung auch in Unterkünften für Geflüchtete gilt. Wenn die Polizei für eine Abschiebung ohne Durchsuchungsbeschluss in das Zimmer eines Geflüchteten eindringt, sei das verfassungswidrig.

Die Verfassungsbeschwerde hatte ein Mann aus Guinea mit Hilfe der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Pro Asyl erhoben. Es ging um einen Vorfall von September 2019. Weil sein Asylantrag abgelehnt worden war, sollte der Guineer nach Italien abgeschoben werden. Dazu wollte die Polizei ihn in einem Übergangswohnheim in Berlin festnehmen, wo er mit einem anderen Mann ein Zimmer bewohnte. Als auf ein Klopfen niemand öffnete, brachen die Beamten die Tür mit einer Ramme auf. Eine richterliche Anordnung hatten die Beamten dafür nicht.

Der Guineer klagte auf Feststellung, dass sein Zimmer nicht hätte betreten und durchsucht werden dürfen, allerdings zuerst erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg wies seine Klage im Februar 2024 ab. Das Gericht argumentierte, die Maßnahme sei keine Durchsuchung im Sinne des Artikel 13 Absatz 2 des Grundgesetzes – dieser regelt die Unverletzlichkeit der Wohnung – gewesen. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), vor das der Kläger anschließend zog, argumentierte so. Eine Suche erfordere stets auch ein Aufdecken und Erforschen, sonst könne zwischen Betreten und Durchsuchen nicht mehr unterschieden werden.

Karlsruhe sah das nun grundlegend anders und verwies das Verfahren zurück ans OVG. Der 2. Senat des Verfassungsgerichts wertete das Vorgehen der Polizei im Gegensatz zu den anderen Gerichten als Durchsuchung, für die eine richterliche Anordnung erforderlich gewesen wäre. Es liege grundsätzlich eine Durchsuchung vor, »wenn der Betroffene zum Zwecke der Abschiebung in seinem Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft aufgesucht wird«, heißt es in der Begründung des Beschlusses. Das gelte, solange vor Beginn der Maßnahme keine sichere Kenntnis über den konkreten Aufenthaltsort der zu ergreifenden Person bestehe.

Mit der Verfassungsbeschwerde sollte auch erreicht werden, dass eine bestimmte Regelung im Aufenthaltsgesetz für rechtswidrig erklärt wird. Mit der 2019 eingeführten Regelung in Paragraph 58 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes hatte der Gesetzgeber versucht, die grundrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Wohnung zu unterlaufen: Die Regelung sah vor, dass die Polizei die Zimmer betreten darf, um eine Person abzuschieben, wenn diese sich voraussichtlich dort aufhält. Karlsruhe stellte nun klar, dass ein Durchsuchungsbeschluss erforderlich ist, solange die Polizei vor Beginn der Maßnahme keine sichere Kenntnis darüber hat, »dass und wo sich die Person konkret im Raum befindet«.

GFF und Pro Asyl begrüßten den Beschluss. »Abschiebungen sind kein Freibrief und Schlafzimmer von Geflüchteten keine rechtsfreie Zone«, erklärte Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF, laut Mitteilung vom Donnerstag. Was selbstverständlich sein müsste, habe Karlsruhe »heute klargestellt und damit der aktuellen Abschiebepraxis der Polizei eine klare Absage erteilt«. Auch habe das Verfassungsgericht das BVerwG korrigiert: Um ein Betreten als Durchsuchung zu qualifizieren, müsse sich die gesuchte Person nicht innerhalb der Wohnung verstecken.

Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, erklärte in derselben Mitteilung, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei »in Zeiten, in denen die Rechte geflüchteter Menschen immer weiter in Frage gestellt werden, ein wichtiger Denkzettel für die Regierung, in ihrer Migrationspolitik Grund- und Menschenrechte zu achten«. Geflüchtete Menschen hätten Grundrechte, »die nicht einfach ignoriert werden können, nur weil es um eine Abschiebung geht«, so Judith.

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