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Aus: Ausgabe vom 21.11.2025, Seite 3 / Ausland
Neue japanische Regierung

Gibt es jetzt einen weiteren Rechtsruck in Japan?

Mit der neuen rechten Regierungschefin ist die Gesellschaft nicht nationalistischer geworden, sagt Matsutani Mitsuru
Interview: Igor Kusar
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Vor rund einem Monat ist die rechte Hardlinerin Takaichi Sanae japanische Regierungschefin geworden. Ist sie eine Kopie ihres Ziehvaters Abe Shinzo, der bis 2020 regiert hatte?

Abe war ein überzeugter Rechtskonservativer, die rechte Ideologie war in seiner Familie verankert. Bei Takaichi fehlt dieser Enthusiasmus. Sie konnte durch ihren Anschluss an den rechten Flügel der Liberaldemokratischen Partei, LDP, aufsteigen und blieb ihm deshalb treu. Sie wird ihre Politik stark an der jeweiligen Stimmung im Land ausrichten, etwa in der China- oder Ausländerfrage. Sorgen bereitet ihre Autoritätsgläubigkeit. Gegenüber Leuten wie Donald Trump gibt sie sich zahm, gegen unten jedoch kann sie hart durchgreifen. Sie wird Kritik schlecht vertragen und könnte Druck auf Medien und Universitäten ausüben.

Bedeutet ihre Amtsübernahme also einen weiteren Rechtsruck in Japan?

In der Politik sicherlich. Ich denke da vor allem an Takaichis Nationalismus. In der LDP ist sie damit jedoch in einer Minderheit. Die Gesellschaft als Ganzes ist aber nicht nationalistischer geworden.

Sie haben vor fünf Jahren in einer Untersuchung festgestellt, dass auch während der Abe-Ära von einem eigentlichen Rechtsruck in der Bevölkerung nicht gesprochen werden kann, beispielsweise in der Familien- oder Geschlechterfrage. Hat sich da in den vergangenen fünf Jahren etwas verändert, etwa in der Einstellung zu Ausländern?

Da hat sich eigentlich nichts wesentlich verändert. Die Japaner haben schon immer eine sehr vorsichtige Haltung in der Immigrationsfrage eingenommen. Das ist bei der deutlichen Steigerung der Zahl der Ausländer in den letzten Jahren nur stärker ins Bewusstsein gerückt.

Das Ausländerthema ist dieses Jahr plötzlich in den Fokus der japanischen Politik geraten, obwohl ihr Anteil nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.

Ja. Auch in der Öffentlichkeit wird dieses Thema stark verfolgt. Nachrichten über lokal eng begrenzte Ereignisse, die Ausländer betreffen, wie etwa das angebliche Treten von Rehen im historischen Nara-Park, können sich dabei wellenartig übers ganze Land verbreiten und fast panikartige Reaktionen auslösen. Dies scheint ein japanisches Phänomen zu sein und verheißt für die Zukunft nichts Gutes, wenn wir mal einen weit höheren Ausländeranteil haben sollten.

Diese Stimmung hat die neue rechte Partei Sanseito geschickt eingefangen. Laut neuesten Umfragen ist sie zur stärksten Oppositionspartei aufgestiegen. Allerdings sind es nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung, die sie unterstützen. Wird sie in Zukunft weiter wachsen?

Sanseito ist dank des zur Zeit herrschenden Misstrauens gegen Ausländer und Takaichis LDP populär. Doch ihr Potential ist begrenzt. Ich denke, der Zorn auf die Eliten und die Globalisierung ist nicht stark genug. Außerdem sind die meisten Japaner konservativ eingestellt. Sie glauben nicht, dass sich durch Politik gesellschaftliche Veränderungen einfach umsetzen lassen. Der stabilisierende Effekt in Japan kommt von den Netzwerken der Konservativen, die vor allem auf dem Land noch immer existieren, wenn auch in schwächerer Form als früher. Ich denke, dass sich dieser Paternalismus weiter halten wird und es der »Rechtspopulismus« schwer haben wird, dagegen anzukämpfen.

Ein reaktionärer Backlash erfolgte in Japan in den vergangenen Jahrzehnten bei der Frage Frieden und Wiederaufrüstung. Das hat die Bevölkerung größtenteils akzeptiert. Gibt es dafür noch andere Beispiele?

Mit ihrer Bemerkung zur Remilitarisierung haben Sie recht. Das internationale Umfeld hat sich komplett verändert. China und das wirtschaftsstarke Südkorea sind in einer Weise aufgestiegen, wie man es vor vierzig Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Doch mit dem Backlash ist das so eine Sache in Japan. Die Moderne, wie sie der Westen versteht, ist hier nicht so weit fortgeschritten. Die Gesellschaft ist schwerfällig, agiert meist ohne Plan und hat den Charakter einer Dorfgemeinschaft, in der Anpassung großgeschrieben wird. Deshalb geht es sowohl mit fort- als auch mit rückschrittlichen Bewegungen nur langsam voran.

Matsutani Mitsuru ist Professor für Politsoziologie und Soziologie an der Chukyo-Universität in Nagoya

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