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Aus: Ausgabe vom 19.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Comic

Mister Bonesaw

Antoine Vitkines und Christophe Girards Comic über Mohammed bin Salman, den Kronprinzen von Saudi-Arabien
Von Marc Hieronimus
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Kein Mann zum Händeschütteln

Der Name Mohammed bin Salman dürfte bei den wenigsten Menschen sympathische Regungen hervorrufen. Der heimliche und ziemlich unheimliche Herrscher des einzigen Landes auf der Erde, das nach seiner Königsfamilie benannt ist, hat zwar einige Reformen angeschoben, die das Land modernisieren sollen. Frauen dürfen jetzt Auto fahren und Konzerte besuchen. Eine Frau darf sogar unter gewissen Umständen versuchen, sich von der Vormundschaft ihres Ehemannes zu befreien. Aber seine eigene Mutter hält der Kronprinz unter Hausarrest, und auch seine – einzige? – Frau Sara bekommt niemand zu Gesicht.

Spätestens seit dem Mord an Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) ist Mohammed bin Salman auch als »Mister Bonesaw«, also Herr Knochensäge, bekannt. Der Kolumnist der Washington Post war sein Kritiker und lebte als saudischer Staatsbürger im US-amerikanischen Exil. Am 2. Oktober 2018 betrat er wegen einer Urkundenangelegenheit das saudische Generalkonsulat in Istanbul, wurde dort gefoltert, zerlegt, davongeschafft und schließlich irgendwo entsorgt. Das ging dann auch den westlichen Wertegemeinschaftern ein wenig zu weit, die sich an den alltäglichen »Menschenrechtsverletzungen« wie Auspeitschungen, Amputationen und Steinigungen im finsteren Königreich nicht stören. Der zu Recht viel gescholtene Iran ist im Vergleich zum Wüstenstaat fast eine Hippiekommune. Aber das Geschäft mit den Saudis ist einfach zu einträglich und harmonisch: Sie verkaufen uns Öl, und von dem Geld kaufen sie bei uns Panzer und Flugzeuge. Das Problem mit Khashoggi war, dass der türkische Geheimdienst das Gemetzel mitgeschnitten und publik gemacht hat; wenn sonst Menschen verschwinden, sind das leicht zu ignorierende und im übrigen innerstaatliche Angelegenheiten.

Der Autor und Dokumentarfilmer Antoine Vitkine musste einige Recherchearbeit leisten, um über Mohammed bin Salman und sein Umfeld genug Material für den gleichnamigen Film von 2019 zu beschaffen, aus dem Christophe Girard nun einen Comic gemacht hat. Girards Zeichenstil ist dem dokumentarischen Anspruch angemessen, auch wenn manche Pressezeichner bei deutlich höherem Abstraktionsgrad ähnlichere Porträts der Staatsmänner zeichnen. Wie bei seinen Werken über Gavrilo Princip, Zola, Mussolini und viele andere Personen der jüngeren Zeit steht bei Girard nicht der künstlerische Ausdruck, sondern die jeweilige Geschichte im Vordergrund.

Auch Antoine Vitkine ist Profi, hat über zwanzig Filmdrehbücher fürs Fernsehen zu durchaus heiklen Themen und Persönlichkeiten wie Putin, Ghaddafi oder Magda Goebbels geschrieben. Über Mohammed bin Salman haben ihn Diplomaten und ein ehemaliger Englischlehrer informiert.

Wenn ein Comic den Werdegang eines Herrschers erzählt, kommt die Leserin oft nicht umhin, eine gewisse Sympathie für ihn zu empfinden, egal, was für ein Scheusal er ist. Das war einer der Vorwürfe, die man den Autoren der Comicbiographie »Hitler«, Friedemann Bedürftig und Dieter Kalenbach, gemacht hat (Carlsen 1989). Die Gefahr besteht bei »MBS – Mohammed bin Salman: Der Kronprinz von Saudi-Arabien« nicht. Dem Mann möchte man auch nach der Lektüre nicht die Hand schütteln. Die allem Anschein nach authentische Comic­figur ist impulsiv, herrschsüchtig, grausam und berechnend. Die von ihm losgetretenen Reformen sind Kalkül, und zwar ausdrücklich nicht gegenüber dem besagten Wertewesten, der ihm kein Fass Öl und keine Patrone weniger ab- bzw. verkaufen würde, wenn er den Stil seiner Vorgänger beibehielte – sie sind schlicht Realpolitik.

Der »Arabische Frühling« hat gezeigt, dass die Geduld eines Volkes Grenzen hat. An einer Stelle legt Vitkine Mohammed bin Salman die Worte in den Mund: »Die demographische Situation ist besorgniserregend. 70 Prozent der saudischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Und offen gesagt, wir werden uns keine weiteren 30 Jahre mit extremistischen Ideen von gerontokratischen und korrupten Imamen abfinden.« Zumal der Herrscher selbst ganz wie die anderen 4.000 Mitglieder allein der Königsfamilie einen ausgesprochen »westlichen« Lebensstil von obszöner Verschwendung pflegt. Widerlich und faszinierend.

Antoine Vitkine/Christophe Girard: MBS – Mohammed bin Salman: Der Kronprinz von Saudi-Arabien. Bahoe Books, Wien 2025, 136 Seiten, 26 Euro

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