Ein Klub genannt Schafott
Von Eileen Heerdegen
Vielleicht war es nur ein Schutzmechanismus meines Traumazentrums, das sich an die Panik des sechsjährigen Ichs angesichts des abgeschlagenen Johanneskopfes in einem Museum erinnerte, dass ich ausgerechnet in und um die Hinrichtungsszene eingeschlafen bin.
Dabei bestand kein Anlass, sich zu fürchten, jede Geisterbahn ist gruseliger. Der letzte Henker Österreich-Ungarns, eine monströse Person, die sich grinsend mit den Getöteten fotografieren ließ, war entgegen der Ankündigung wohl eher vage Inspiration und trägt lediglich den selben Vornamen wie der bedauernswerte Josef, der hier unfreiwillig zum ersten Henker einer faschistoiden Barbiepuppenkanzlerin bestimmt ist.
Zunächst aber ist Josef Klubbetreiber eines Etablissements namens »Schafott« in einer düsteren Welt, deren Außen durch den »großen Eingriff« (Geoengineering?) dauerhaft in trübes Grau getaucht ist, deren Innen um so greller und bunter sein muss, wie die täglich um Mitternacht im Klub per Fallbeil zermantschte Melone.
»wir stillen, / da im dröhnen von dem klub, / stillen einen durst, / der alle zeiten kennt, / und sollten auch, wie jetzt, / ganz neue zeiten anbrechen, / der durst da in den leuten / geht nicht aus«.
Mit langsamen Tai-Chi-Bewegungen philosophieren der Gastwirt im Gothic-Piratenlook (Max Simonischek mit langen fettschwarzen Haaren und tiefdunklem, prächtig besticktem Mantel) und Stammgast Flamboyanza (Thiemo Strutzenberger in weißen Pailletten) gleichsam gelangweilt wie bedeutungsschwanger.
Noch hat der Tanz auf dem Vulkan nicht begonnen, noch bleibt die Zeit fast stehen, keine Emotion begleitet ihre Gedanken, vorgetragen in ungewohnt rhythmischer Verssprache, die formal gelegentlich an Shakespeares Zeiten erinnert: »da hat der klub sie schon verschluckt, / da schlüpfen sie ihm unter seine haut, / und da vom subkutanen fettgewebe dann / tiefer noch hinein / in das gewirr der gänge, / adern, die die floors verbinden, / neonröhren flackernde, / wo es nach feuchter erde riecht, / bevor die menschenmassen / sich hier drängen. / der klub genannt schafott, / liegt mitten in der hauptstadt drinnen, / die zum bersten voll, / da in den grenzregionen / kann man kaum leben mehr, / alles außerhalb der freistädte ist grenzregion, / weshalb die meisten in der stadt, / wo die versorgungslage nunja, / eine bessere. / hier in der hauptstadt, / versucht, wer es sich leisten kann, / zu tun als würde es, das leben, / weiter gehen wie zuvor, / während jene, die alles schon verloren, / vor der kälte in die kanalisationen fliehen.«
Der Architekt dieser dystopischen Welt ist der knapp 40jährige Matthias Schweiger aus Graz, künstlerisch als Ferdinand Schmalz unterwegs – Bachmann-Preisträger 2017 und seither für weitere Werke mehrfach ausgezeichnet. Regisseur, Burgtheater-Intendant Stefan Bachmann, hat die »eskapistische Klubwelt« (Schmalz) in traumhafte Bilder umgesetzt, passend dazu phantasievolle, bestickte, bunte Kostüme von Adriana Braga Peretzki.
Die plakativ, wie ein Kasperltheater, entworfene Story ist schnell erzählt und doch mit vielen Elementen durchdacht, die sich allerdings, genau wie die eigenwillig schöne Sprache, der oft am Satzende die Verben fehlen, erst beim intensiven Lesen erschließt. Auf der Bühne wirkt das alles, trotz guter Schauspieler, trotz stimmigem Drumherum, zeitweilig sehr ermüdend.
»gerade jetzt brauchts eine sprache / die die gewalt nicht mehr kaschiert, / eine sprache, / die mit ihrer eigenen gewalt zupackt / bumm tschak, wie so ein tiefer bass, / da in der magengrube des gesellschaftskörpers.«
Auftritt der »Kanzlerin«, Melanie Kretschmann, eine Signora Meloni im pinkschillernden Glitzer-Catsuit, der man trotz der markigen Worte aber eher die Vorstadtdiscoqueen als die neugewählte extrem rechte Fanatikerin abnimmt. Sie sucht (und findet dank Erpressung) einen populären ersten Henker, um ihre Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe mehrheitsfähig zu machen – Josef. Am Ende rollt sogar der Kanzlerinnenkopf, und trotzdem wird alles weitergehen.
»der vorhang fällt. / fehlt. / fallbeil, / beifalll / (…) / verlassen wir nun das theater, / doch das theater, / es verlässt uns nicht. / ist alles nur theater, / und es ist es nicht, / die große show, / wow, / eine zukunft gibt es nicht, / (…) / wir funktionieren immer noch, / auch ohne kopf, / obwohl die welt kaputt, / wir stolpern stürzen ständig, / und weil es alle tun, / sieht’s aus als tanzten wir. / wir tanzen einen tanz, / der uns zerlegt, / als würden göttern wir, / zum fressen dargeboten, / und aus den resten setzt, / vielleicht sich wieder was, / in irgend so ein halbwegs ganzes.«
Nach Schmalz’ eigenen Angaben entstand die Idee zum Stück bei Recherchen zu rechten Umtrieben in Österreich. Trotzdem, und allgemeine Endzeitstimmung hin oder her, der Autor mag die Zukunft nicht so pessimistisch sehen, sondern glaubt, wie ihn die Zeit zitiert, »an den Kodex von politischen Menschenrechten, die durch die blutige Französische Revolution erkämpft worden sind«. Na dann, bumm tschak.
Nächste Vorstellungen: 24.11., 4.12., 25.12.
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