Das unbequeme Bild
Von Josh RegitzDrei identische Betten, eng aneinandergestellt. Darauf: Drillinge. Ein offener Blick in die Kamera, drei Facetten des gleichen Gesichts. Was wie ein hübsches Foto aus dem Familienalbum anmuten könnte, wirkt durch das Kameraauge von Diane Arbus (1923–1971) motivisch leicht verschoben. Das Alltägliche kippt ins Beunruhigende. Arbus’ Bilder verweigern den Trost des Gewohnten, sie zwingen den Blick auf das, was die bürgerliche Ordnung lieber im Unsichtbaren hält.
In den USA der Nachkriegsjahre galt der Traum vom Eigenheim, vom makellosen Familienleben als Maßstab sozialen Gelingens. Arbus, selbst aus dem wohlhabenden Hause einer Pelzhändlerfamilie stammend, zerlegte den »American Dream« von innen heraus. Statt Werbeästhetik: Menschen, die nicht ins Bild der Wohlstandsgesellschaft passten. Behinderte, Prostituierte, queere Menschen, Performer, Arbeiter. Ihr Werk ist ein Archiv der Würde der Unangepassten.
In Bildern wie »A widow in her bedroom, N. Y. C., 1963« zeigt sich Arbus’ Blick auf die oberen Gesellschaftsschichten: Eine ältere, offensichtlich wohlhabende Frau sitzt ängstlich in einer Ecke ihrer überfüllten, luxuriösen Wohnung. Das Zimmer ist dunkel und wirkt bedrohlich. Die Reichen wirken in Arbus’ Fotos oft grotesk, überladen, hilflos oder gierig. Dagegen lichtet sie junge Pärchen im Central Park wie Menschen ab. Man erkennt sich selbst wieder.
Diane Arbus begegnete ihren Motiven nicht als Voyeurin, sondern als Komplizin. Sie sprach mit den von ihr fotografierten Menschen, verbrachte Stunden mit ihnen, bevor sie auf den Auslöser drückte. Besonders radikal ist Arbus’ Blick auf Geschlecht und Begehren. Lange bevor »queer« ein Begriff des Widerstands wurde, fotografierte sie Dragqueens, trans Menschen und Crossdresser, ohne Pathologisierung oder Exotismus. In einer Zeit, die solche Identitäten leugnete, bestand sie darauf, dass sie gesehen werden.
Die Reaktionen auf ihre Fotografien waren teilweise aggressiv ablehnend. Zum Beispiel spuckte jemand 1967 im Museum of Modern Art auf das Foto »A young man in curlers at home on West 20th Street, N. Y. C. 1966« – es zeigt eine Person unbestimmten Geschlechts, Haare in Rollenwicklern, eine Hand mit langen Fingernägeln hält eine Zigarette. Ein Abzug davon wurde 2004 bei einer Auktion für 198.400 US-Dollar verkauft.
Arbus’ Fotos sind weiterhin unbequem, weil sie die vermeintliche Normalität in Frage stellen. Sie stellen keine »Freaks« aus, sondern wirken wie ein Spiegel für alle, die sich selbst für »normal« halten. Der Gropius-Bau in Berlin präsentiert mit »Diane Arbus: Konstellationen« die bisher umfassendste Retrospektive der Fotografin. Die Kuratoren verzichten auf chronologische oder streng thematische Ordnung, statt dessen wird ein »labyrinthischer« Aufbau gewählt; eine »Konstellation« von Bildern, die durch schwarze Gitterwände führt. Die Präsentation irritiert: Die Nummerierung wirkt willkürlich, die Hängung chaotisch. Dieses Prinzip mag gewollt sein, hinterlässt jedoch eher ein Gefühl von Orientierungslosigkeit als von Offenheit. Das macht die Ausstellung insgesamt aber nicht weniger eindrucksvoll.
»Diane Arbus: Konstellationen«, Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 18.1.2026
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