Ein Amerikaner in Berlin
Von Sabine Lueken
Die junge Frau in Jeans und engem Pulli – aufgenommen von der Seite – blickt ruhig und selbstbewusst in die Kamera. Die Arme hat sie um ihren Bauch gelegt, der Reißverschluss der Jeans steht offen. Kaum vorstellbar, dass dieses Foto einen Skandal hervorrief. Aber 1960 wollte die Hamburger Jugendbehörde seine Verbreitung verbieten lassen. Das »hochschwangere Mädchen« in »aufreizende(r) Pose und Kleidung« verletze »eindeutig das natürliche Schamgefühl junger Menschen«.
Das Foto gehört zu den bekanntesten von Will McBride. »Mein Kind kommt«, darüber hatte seine Frau Barbara, die Frau auf dem Foto, für die Zeitschrift Twen geschrieben und McBride die Fotos gemacht. Neben diesen sind im Berliner Bröhan-Museum noch weitere Originalfotostrecken McBrides für Zeitschriften und viele Vintageabzüge zu sehen, insgesamt rund 70 Leihgaben, konzentriert auf Arbeiten aus den 1950er und 1960er Jahren. Sie stammen zumeist aus der privaten Sammlung des Kurators Hans-Michael Koetzle, der mit dem Künstler befreundet war.
McBride, 1931 in St. Louis, Missouri geboren, studierte Malerei und Kunstgeschichte und war als GI mit der US-Army 1953 nach Würzburg gekommen. Nach dem Ende seines Militärdienstes 1955 blieb er in Deutschland. Er tauchte in Künstlerkreise ein, lebte in Italien, Worpswede und Berlin, bis er Mitte 1961 nach München zog und dort ein überaus erfolgreiches Werbefotostudio aufbaute. Er arbeitete weiter für Twen und als Reportagefotograf etwa für die Illustrierte Quick, lieferte dort bis 1964 rund 50 Beiträge, u. a. über den Kennedy-Besuch 1963 in Berlin, über Günzburg, den Geburtsort Josef Mengeles, oder – in der Ausstellung zu sehen – über Adenauer privat. Sein eigentliches Thema aber war der Aufbruch der Jugend in den 1960er Jahren. Für ihn wie für viele andere bedeutete das: intensive Freundschaften, das Leben als Paar oder in der Kommune, Körperlichkeit und das Aufbegehren gegen eine prüde Sexualmoral. Mit Helga Fleischhauer-Hardt veröffentlichte er 1974 das Aufklärungsbuch »Zeig mal!«. Zuerst viel gelobt, dann heftig gescholten, zeigte er darin Kinder in ihrer neugierig-erwachenden Sexualität (das Buch war zu keinem Zeitpunkt indiziert, aber jahrelang vergriffen, seit 2024 ist es als Nachdruck wieder erhältlich).
Seine frühen Fotos aus Deutschland und Berlin, die er später als »Foto-Tagebuch 1953–1961« veröffentlichte, hatte McBride unter dem Titel »Die Clique – Oder Lust nach Leben« bei verschiedenen Zeitschriften vorgelegt. Willy Fleckhaus, Art Director bei Twen, erkannte das Potential und heuerte McBride an. Er wurde der »Lieblingsfotograf«, und seine Fotoessays tangierten fast immer herrschende Tabus, wie die Ausstellung hervorhebt. Der erste war »Jazz auf dem Fluss« (6/1960), der letzte über die »Hippies von Matala« (2/1970). Berühmt wurde seine von Hermann Hesse inspirierte und in Indien realisierte Fotoerzählung »Siddhartha« (1969).
Twen war das erste Lifestyle-Zeitgeist-Magazin der Bundesrepublik und setzte mit einer neuen Ästhetik der Heftgestaltung Maßstäbe. Der Schwerpunkt lag eindeutig auf dem Layout, die Texte waren von sehr schwankender Qualität, eher unpolitisch, teilweise belehrend. Es war ein Heft für progressive junge Menschen, die anders leben wollten als ihre Eltern, lässiger, frecher, hedonistischer, auch freizeit- und konsumorientierter. Fleckhaus hatte bereits 1952 das Layout des Aufwärts übernommen, der offiziellen Jugendzeitschrift des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und ihn modern gestaltet. Dort hatte McBride seinen ersten Auftritt als Fotograf, bevor er zum Chronisten des jugendlichen Aufbruchs in der spießigen Adenauergesellschaft wurde. Seine neuartige Bildästhetik spiegelt das wider. Nah dran, bewegt, mit Weitwinkel oder Untersicht, schwarz-weiß: »personal documentary«. Alles wirkte spontan und familiär, auch wenn es inszeniert war.
Hautnah, auch im wörtlichen Sinn, kann man auf seinen Fotos sehen, wie aus dem verkrustet-prüden Nazideutschland in den 1960er Jahren etwas Neues wuchs. 1971 stellte Twen sein Erscheinen ein. Die Jugend wurde politischer, Konsum galt nicht mehr als Ausdruck von Freiheit, sondern als »Terror«, und durch den Vietnamkrieg gerieten die Amerikaner zunehmend in Verschiss. Auch McBride geriet in eine Krise: 1974 zog er sich aus dem Berufsleben zurück, verbrachte zehn Jahre mit einem Freund in Italien und widmete sich bis zu seinem Lebensende der Malerei und Bildhauerei, die er als seinen eigentlichen Beruf betrachtete.
Mit Will McBrides Frühwerk lädt die Ausstellung dazu ein, noch einmal in die Kinderjahre der Bundesrepublik einzutauchen – Jahre, die der 2015 verstorbene Fotograf mitgestaltet hat. Im noch vom Krieg gezeichneten Berlin fotografierte er im West- wie Ostteil Pferdefuhrwerke, ausgelassene junge Leute auf Motorrollern, Jungs auf Mauern in halbzerstörten Häusern, Schwimmbadfreuden, den Leierkastenmann mit dem bettelnden Affen vor dem Bahnhofsgebäude am Alexanderplatz, »Riesen-Brandmauern, die den Betrachter in Kafka-Stimmung versetzen können«. »Ich war verliebt in diese Stadt und in das Leben, das sie mir bot«, hat er später gesagt. »Ich war zum ersten Mal in meinem Leben wahrhaft glücklich.«
»Will McBride – Die Berliner Jahre«, Bröhan-Museum, Schloßstraße 1 a, Berlin-Charlottenburg, verlängert bis 20. Juli
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