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Aus: Ausgabe vom 17.11.2025, Seite 3 / Ansichten

Nawrocki will mehr

Polens Präsident und die Rechte
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Polens Staatsoberhaupt fühlt sich beim ultrarechten »Unabhängigkeitsmarsch« sichtlich wohl (M., Warschau, 11.11.2025)

Drei Monate nach seinem Amtsantritt wird erkennbar, dass der polnische Staatspräsident Karol Nawrocki mehr sein will als der von der PiS aus dem Hut gezauberte »Bürgerkandidat«, als der er im Wahlkampf verkauft wurde. Und dass er sein Amt anders führen will als sein Vorgänger Andrzej Duda. Wo sich dieser an jedem freien Wochenende in eines der staatseigenen Resorts an der Ostsee oder in den Bergen zurückzog und dort je nach Jahreszeit Wasserscooter oder Ski fuhr, tingelt Nawrocki durch die Provinz und arbeitet an seinem Image als eigentlicher Anführer der polnischen Rechten.

So am vergangenen Freitag in der Kleinstadt Mińsk Mazowiecki östlich von Warschau. Ein Heimspiel in einer rappelvollen Schulturnhalle. Alles inszeniert nach US-Vorbild, einschließlich einer »jetzt bitte Riesenbeifall für Karol Nawrocki!« einfordernden Moderatorin. Nawrocki inszenierte sich als aktiver, eingreifender Politiker, anders als Duda, der den Willen der PiS-Zentrale exekutierte, aber darüber nicht hinausging. Dafür präsentierte er dem Publikum seine halbe Kanzlei, deren Mitglieder zwar den Titel »Minister« führen, aber eben eigentlich keine sind. Nawrocki tat, als wäre es anders, und gab sich als Teamspieler. Den Namen von PiS-Chef Jarosław Kaczyński erwähnte er dagegen nicht. Da baut sich jemand auf für die Zeit nach Kaczyński, der mit seinen 76 Jahren immer mehr wirkt wie einer der ewig grummelnden Alten vom Theaterbalkon der Muppet-Show. Seine Nachfolge ist nach wie vor nicht geklärt.

Nawrocki spielt seine Kompetenzen bis an die verfassungsmäßigen Grenzen aus. Etwa, wenn er einen Gesetzentwurf in den Sejm einbringt, der die Strompreise für polnische Familien um ein Drittel senken soll – das kommt gut an. Wo die Regierung angesichts der von Nawrocki nicht in Frage gestellten Hochrüstungspolitik Geld finden wird, um das zu finanzieren, ist ihre Sache. Ein Präsident als Rächer der Enterbten – das ist die Aura, die Nawrocki um sich aufbaut. Donald Tusk kann in diesem Szenario nur verlieren.

Trotzdem wäre es verfrüht, von einer Spaltung der polnischen Rechten über den Riss hinaus zu sprechen, den es ohnehin schon gibt. Denn auf dem rechten Flügel macht der PiS inzwischen die nationalistisch-marktradikale »Konföderation« Konkurrenz – mit Werten um die 20 Prozent eine nicht zu unterschätzende Kraft. Unbelastet vom Affärenstadel der acht Jahre PiS-Regierung umwirbt Nawrocki den Rechtsausleger mit chauvinistischen Parolen und seiner Teilnahme am »Unabhängigkeitsmarsch« der Schläger und Stadionrandalierer. Als Fernziel strebt er ausdrücklich an, in der nächsten oder übernächsten Legislaturperiode eine Verfassungsänderung zu bewirken. Polen soll eine Präsidialrepublik werden, mit mehr Macht für den Staatschef, gestützt auf ein direktes Wählermandat. Autoritärer Umbau, made in Poland.

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