Feindliche Übernahme
Von Florian Osuch
Mitte Oktober kam es in einem Vorort der irischen Hauptstadt Dublin zu mehrtägigen, teils gewalttätigen Protesten vor einer Unterkunft für Geflüchtete. Ein »rechter Mob« (vgl. junge Welt vom 29.10.2025) habe versucht, zum Hotel »Citywest« vorzudringen. Der Gebäudekomplex war im Sommer von Behörden zur Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine und Asylsuchenden übernommen worden. Bis zu 2.300 Personen sollen dort untergebracht sein. Bereits im Juni protestierten Anwohner. In einem ersten Aufruf hieß es, die Bevölkerung sei »kein einziges Mal« konsultiert worden. Was geschehe, sei »nichts anderes als autoritär«. Derlei Vorgehen erwarte man »von einer Diktatur, nicht von einer Regierung, die gewählt wurde, um ihrem Volk zu dienen«. Dezidiert ausländerfeindliche Passagen enthielt der Text nicht. Die Verfasser befürchteten, dass mit der Umwandlung des Hotelkomplexes auch beliebte Infrastruktur der Gemeinde verloren ginge, da sich dort auch Freizeiteinrichtungen befinden, etwa ein Fitnessstudio, Restaurants sowie Bühnen für Kultur- und Tanzveranstaltungen.
Zunächst wurden regelmäßige »peaceful protests« durchgeführt, weiterhin ohne offenen Rassismus. Oft versammelte sich nur ein Dutzend Anwohner. Als Mitte Oktober gemeldet wurde, ein zehnjähriges Mädchen sei sexuell belästigt worden, dauerte es nur wenige Stunden, bis in sozialen Medien wie Instagram, Facebook und X spekuliert wurde, der Täter sei Migrant. Der Kreis, der seit dem Sommer gegen die Unterkunft mobil gemacht hatte, rief für den Abend erneut zum friedlichen Protest vor dem Hotel auf. Was dann passierte, zeigt, wie gut vernetzt die internationale Rechte im englischsprachigen Raum ist und wie wichtig dabei die Werkzeuge der Techgiganten sind.
Der irische Sender RTÉ hat detailliert recherchiert, wie die Spekulationen über eine mögliche Täterschaft eines Bewohners der Unterkunft zunächst von bekannten rechten Influencern aus Irland aufgegriffen wurden. Deren Tweets wurden millionenfach geklickt und dann von einflussreichen extremen Rechten in Großbritannien, den USA und Kanada geteilt. Bilder des ersten Protestabends zeigen vielleicht 30 Personen, die mit irischen Flaggen Richtung Hotel ziehen – online verfolgten bereits Millionen das Geschehen. Meldungen über die Vorkommnisse hatten auch der bekannte britische extrem rechte Gründer der »English Defence League«, Stephen Yaxley-Lennon (alias »Tommy Robinson«), sowie Elon Musk auf seiner Plattform X geteilt. Mehr Aufmerksamkeit geht kaum. Der rechte irische Videoaktivist Philip Dwyer hatte da schon erste Livemitschnitte der noch kleinen Proteste geliefert und angekündigt, dass am darauffolgenden Tag »viel mehr Leute kommen würden«. So kam es. An den folgenden Abenden eskalierte die Situation zu nun tatsächlich rassistischen Ausschreitungen. Maskierte attackierten die Polizei, die das Areal weiträumig abgesperrt hatte, Pyrotechnik wurde gezündet und ein Polizeiauto in Brand gesetzt.
Rebellische Iren
Es folgten Aufrufe kleiner extrem rechter Parteien aus Irland, wie der »National Party«. Der in den USA ansässige rechte TV-Sender Fox News griff den Fall auf. Aus Toronto kam der rechte kanadische Medienaktivist Ezra Levant eingeflogen. Er berichtete live von den Geschehnissen für das von ihm betriebene Portal Rebel News. Bei Youtube folgen Lavant 1,5 Millionen Nutzer. Korrespondent von Rebel News für Großbritannien ist der genannte Yaxley-Lennon/Robinson – so schließt sich der Kreis. Zu Videosequenzen des brennenden Polizeiwagens und wehenden irischen Flaggen kommentierte Levant, die Iren hätten »eine rebellische Ader«. Diese Ader, so hoffe er, würde ihnen helfen, »sich von der Masseneinwanderung zu befreien«. In diesem Statement steckt im Kern die Umkehrung irischer Freiheitsbestrebungen gegen britischen Kolonialismus zu einem rassistischen Ethnonationalismus. Durch einen kurzen Blick auf die Geschichte Irlands wird die Tragweite des Statements Levants und der Entwicklungen im Land deutlich.
Tatsächlich kann Irland auf mehrere Jahrhunderte von Aufständen und Rebellionen zurückblicken. Diese richteten sich ausnahmslos gegen die britische Herrschaft. Ihren Kampf gegen Diskriminierung und Entrechtung durch die Kolonialmacht verbanden die verschiedenen Organisationen, Bünde und Zirkel mit fortschrittlichen, liberalen und zum Teil auch sozialistischen Ideen.
Die Ursprünge der modernen irischen Rebellion liegen bei den 1791 gegründeten »United Irishmen«. Die zunächst reformorientierte bürgerliche Bewegung – inspiriert von der Französischen Revolution – radikalisierte sich unter Führung von Theobald Wolfe Tone (1763–1798) zu einer kämpferischen Organisation. Ihre Ziele waren das Ende der britischen Herrschaft und die Errichtung einer nichtmonarchischen irischen Republik auf Basis der Gleichheit aller Religionen. Ein Aufstand 1798 wurde brutal niedergeschlagen. Theobald Wolfe Tone ist bis heute eine zentrale Identifikationsfigur für irische Republikaner und andere Linke und durch die populäre Musikgruppe The Wolfe Tones weit über Irland hinaus bekannt.
Fortan traten Irinnen und Iren jeder Generation in die Fußstapfen der »United Irishmen«. Die Bewegungen waren meist Spiegelbild von Entwicklungen in den USA und in Kontinentaleuropa. Einschneidend war die Große Hungersnot (engl. »Great Famine«) Mitte des 19. Jahrhunderts: Aufgrund eines Kartoffelschädlings kam es zu enormen Ernteausfällen beim Hauptnahrungsmittel der zumeist in bitterer Armut lebenden Landbevölkerung. Gleichzeitig wurden weiterhin Lebensmittel aus Irland nach England exportiert, was nicht wenige Iren Großbritannien bis heute nicht verziehen haben. So betonte Ende September dieses Jahres der irische HipHop-Künstler Liam Óg Ó hAnnaidh (»Mo Chara«) von der Gruppe Kneecap nach einem Freispruch wegen angeblicher Terrorunterstützung (vgl. junge Welt vom 29.9.2025), die Iren »kennen Unterdrückung, Kolonialismus, Hunger und Genozid«. Mit dem Verweis auf die Geschichte des britischen Kolonialismus in seiner Heimat zog er eine Parallele zur dramatischen Lage der Palästinenser in Gaza.
Die Äußerung des Musikers zeigt, wie präsent der »Great Famine« (irisch: An Gorta Mór) weiterhin ist. In der Folge starb eine Million Iren, weitere zwei Millionen wanderten aus. Wer damals den Preis für eine Fahrt in die USA oder nach Australien nicht bezahlen konnte, landete in den englischen und schottischen Arbeiterslums in Liverpool, Birmingham, Manchester oder Glasgow. Dort bildeten sie »die niedrigste Klasse der Bevölkerung«, wie Friedrich Engels in seiner Untersuchung »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« schon 1845 festgehalten hatte.¹ Auch Marx ging auf den Kampf der irischen Freiheitskämpfer ein und wies auf die brutale Repression Londons hin.² Engels verfasste 1870 eine ausführliche »Geschichte Irlands«³ und auch Marx’ Tochter Jenny schrieb mehrere »Artikel zur irischen Frage«⁴.
Im »Kapital« bezeichnete Marx Irland als einen »Agrikulturdistrikt Englands, dem es Korn, Wolle, Vieh, industrielle und militärische Rekruten«⁵ liefere. Allerdings sei durch die Große Hungersnot »der ökonomische Gehalt und daher auch der politische Zweck der englischen Herrschaft in Irland in eine ganz neue Phase eingetreten«⁶, schrieb er 1867 an Engels. Für Irland forderte Marx Unabhängigkeit von England, eine agrarische Revolution und Schutzzölle gegen England.⁷ Die Auflösung des Kolonialverhältnisses zwischen den Ländern sei auch Voraussetzung einer Arbeiterrevolution in England: »Einziges Mittel«, um die soziale Revolution in England zu beschleunigen, sei »die Unabhängigkeitmachung Irlands«.⁸ Dazu kam es nicht. Allerdings kam es durch den »Great Famine« zum Exodus: Irland verlor insgesamt 40 Prozent der Bevölkerung.⁹ Bis heute hat es sich vom Hungersterben und der Massenauswanderung nicht erholt; die Zahl der Einwohner ist weiterhin deutlich geringer als Mitte des 19. Jahrhunderts. Einwanderung im größeren Stil ist in Irland ein sehr neues Phänomen.
»Untergang oder Revolution«
Die Ideen der »United Irishmen« und weiterer Rebellen griffen Iren im Exil in den USA auf und gründeten 1858 die »Fenian Brotherhood«, die ihr Pendant mit der »Irish Republican Brotherhood« fand. Auch ihr Ziel war eine unabhängige, demokratische Republik. Attentate und kleinere Erhebungen blieben jedoch erfolglos. Die englische Regierung reagierte mit harter Hand. Das wiederum griff erneut Marx auf: »In Irland (sind) Tausende von Männern, lediglich weil man sie des Fenianismus verdächtigte, eingesperrt worden, ohne jemals verurteilt oder vor ein Gericht gestellt, ja ohne auch nur angeklagt worden zu sein.« Nicht nur für viele Irinnen und Iren, auch für Marx war die »irische Frage keine einfache Nationalitätsfrage, sondern eine Land- und Existenzfrage. Untergang oder Revolution ist das Losungswort.«¹⁰ In Irland reifte die Idee für einen größeren Aufstand. Parallel bildete sich in Irland – zunächst beschränkt auf Dublin – ein Proletariat heraus. So erreichten sozialistische Ideen und kämpferische Gewerkschaften die Insel. Hinzu kam die im Entstehen begriffene Frauenbewegung.
Die verschiedenen Strömungen unterhielten jeweils eigene Milizen, die sich 1916 zum Osteraufstand verbündeten, an dem auch die 1905 gegründete Partei Sinn Féin teilnahm. In Dublin wurde eine Republik proklamiert, die unter anderem religiöse und soziale Freiheit sowie die Gleichberechtigung aller Menschen in Irland garantierte. Ihrer Zeit und den Revolutionen in Russland (1917) und Deutschland (1918) voraus waren die Rebellen mit der Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht für Männer und Frauen. Nach wenigen Tagen blutiger Kämpfe mit der britischen Kolonialmacht fand jedoch auch diese Erhebung ihr Ende. Viele Anführer wurden hingerichtet, darunter auch der Gewerkschafter und marxistische Theoretiker James Connolly. Obgleich der Osteraufstand selbst scheiterte, wurde er doch zum Ausgangspunkt für den Irischen Unabhängigkeitskrieg, den die 1919 gegründete »Irish Republican Army« (IRA) ausfocht. Ihr Widerstand gegen die Briten führte 1921 zum Abschluss des Anglo-Irischen Vertrags und zur Gründung der Republik Irland.
Fortan war das Land zwar unabhängig, jedoch geteilt, denn Nordirland verblieb unter britischer Herrschaft, und die Diskriminierung der irisch-katholischen Bevölkerung dauerte an. Wiederum inspiriert von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA bildete sich dort 1967 die »Northern Ireland Civil Rights Association«. Sie stellte klassisch liberale, weniger rebellische Forderungen, wie die Abschaffung des Mehrfachstimmrechts für (zumeist britische) Großgrundbesitzer, eine Abkehr bei der Benachteiligung für irische Katholiken bei der Job- und Wohnungsvergabe sowie das Ende von Polizeischikanen. Trotz des bürgerlichen Charakters der Bewegung reagierte London wie in den Jahrhunderten zuvor und ließ die friedlichen Demonstrationen niederknüppeln.
Eine neue Generation junger Irinnen und Iren nahm 1969 den Pfad des Kampfes erneut auf, griff zur Waffe und formierte sich in der »provisorischen« IRA neu. Insgesamt starben während des Nordirlandkonflikts in fast 30 Jahren rund 3.500 Menschen, zumeist unbeteiligte Zivilisten. Mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 – das unter anderem die Selbstentwaffnung der IRA, den weitgehenden Rückzug der britischen Armee, eine Polizeireform, die Freilassung inhaftierter IRA-Kämpfer sowie den Aufbau demokratischer Institutionen vorsah – endete der Krieg. Sinn Féin entwickelte sich vom geächteten Sprachrohr der IRA zu einer etablierten Partei. Seit 2022 ist sie führende Kraft in Nordirland und stellt mit der charismatischen Michelle O’Neill die Erste Ministerin der Provinz.
Gewehr statt Herd
Die irischen Freiheitsbestrebungen standen stets unter dem grün-weiß-orangenen Banner, tendierten dabei aber mal in bürgerlich-liberale, mal in sozialistische Richtung. Die konservativen Kräfte Irlands und die Rechtsextremen wollten damit nichts zu tun haben – weder mit den »United Irishmen« und Theobald Wolfe Tone noch mit der Osterproklamation von 1916 und schon gar nicht mit Sozialisten wie James Connolly, für den der Kampf um Irlands Freiheit mit dem der Arbeiterklasse untrennbar verbunden war. Im Nordirlandkrieg ab den 1970er Jahren hielt die Rechte größtmöglichen Abstand zu Sinn Féin/IRA und ihrem zumeist eher säkularen Milieu.
Mit irischem Nationalismus waren Straßenkämpfe in West-Belfast und Derry verbunden: Jugendliche, die Molotowcocktails auf die verhasste britische Polizei warfen, und Frauen, die sich am militanten Kampf beteiligten, statt sich mit der für sie von Konservativen vorgesehenen Rolle als gottesfürchtige Mütter am Herd zu begnügen. Die prominente Rolle von Frauen in den IRA-Kommandos wurde selbst von Teilen der eigenen Anhängerschaft kritisch gesehen. Zu nennen wären hier unter anderem Jennifer McCann (1980 wegen Schüssen auf einen Polizisten zu 20 Jahren Haft verurteilt, später Ministerin von Sinn Féin in Nordirland), Martina Anderson (1986 wegen Anschlagsplänen in England zu lebenslanger Haft verurteilt, später acht Jahre für Sinn Féin Mitglied im EU-Parlament) oder Mairéad Farrell (1988 auf IRA-Mission in Gibraltar vom britischen Militär getötet). Auch der gelebte Internationalismus – Bezugspunkte der republikanischen Bewegung waren der Antiapartheidskampf in Südafrika und der Kampf der Palästinenser – sowie Forderungen nach Frauenrechten und das Eintreten für sexuelle Selbstbestimmung trennten Sinn Féin/IRA von den religiös-konservativen Kräften Irlands.
Mächtige »Pro Life«-Bewegung
Klassisch extrem rechte Parteien waren in Irland daher viele Jahrzehnte weitgehend bedeutungslos. Das lag auch an der Dominanz der sehr konservativen Parteien Fianna Fáil und Fine Gael. Rechte Kreise verorteten sich in der katholischen Kirche sowie in christlich-fundamentalistischen Formationen der sogenannten »Pro Life«-Bewegung. Wie einflussreich diese ultrakonservativen Kräfte in Irland lange Zeit waren, zeigen die Ergebnisse mehrerer Volksabstimmungen. Noch 1986 erreichte ein Referendum für die Legalisierung von Scheidungen keine Mehrheit. Neben der katholischen Kirche war es die kurz zuvor gegründete »Pro Life«-Gruppierung »Youth Defence«, die gegen eine solche Liberalisierung mobil machte. Ein weiterer großer Streitpunkt: das Recht von Frauen, über ihre Schwangerschaft selbst zu bestimmen. Bei zwei Referenden in den Jahren 1992 und 2002 waren es wieder die katholische Kirche und »Pro Life«-Gruppen, die für das Scheitern einer Liberalisierung sorgten.
Auch bei einem Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe (2015) und einer dritten Abstimmung zur Abschaffung des Abtreibungsverbots (2018) stand das religiös-konservative und extrem rechte Lager einem Bündnis aus Sozialdemokraten, feministischen Gruppen, kleinen sozialistischen Parteien und Sinn Féin gegenüber. Die Macht der katholischen Kirche und der »Pro Life«-Bewegung konnte jedoch gebrochen werden: Beide Abstimmungen wurden mit über 60 Prozent Zustimmung gewonnen. Erneut waren es auch irische Nationalisten von Sinn Féin, die federführend beim Kampf um freiheitliche Ziele waren.
Vor diesem Hintergrund muss das aktuelle Statement des rechten Kommentators Ezra Levant zur »rebellischen Ader« der Iren gelesen werden. Der fortschrittliche, liberale und teilweise sozialistische Geist der irisch-republikanischen Bewegung wird bei Levant durch einen rechtsnationalen Feldzug gegen eine vermeintliche Überfremdung ersetzt. Damit greift er die Entwicklung und das Erstarken der extremen Rechten in Irland der vergangenen Jahre auf.
Schon im April 2025 kamen rund 10.000 Menschen in Dublin zu einem »National Protest for Ireland«. Das Meer irischer Fahnen ließ zunächst einen Zug irischer Republikaner anlässlich der Feierlichkeiten zum Gedenken an den Osteraufstand vermuten. Banner mit Slogans wie »God bless Ireland« und »Irish Lives Matter« oder rassistische Plakate (»Wer die Dritte Welt importiert, wird zur Dritten Welt«) machten jedoch deutlich: Hier sind keine Linken am Werk. Das Gegenteil war der Fall. Vereinzelt sollen auch Israel-Fahnen sowie Portraits von Donald Trump, Elon Musk oder dem durch einen Handschlag mit dem US-Präsidenten aufgefallenen Kampfsportler Conor McGregor gezeigt worden sein. Der in Dublin geborene McGregor ist zu einer Art Ikone der extremen Rechten in Irland und Großbritannien avanciert, nachdem er im Anschluss an einen Fototermin mit Donald Trump gegen die vermeintlich zu tolerante Migrationspolitik der irischen Regierung gepoltert hatte. Die extreme Rechte stört es dabei nicht, dass der ehemalige Mixed-Martial-Arts-Champion in einem Zivilprozess wegen Vergewaltigung und Körperverletzung verurteilt worden ist.
Einmischung aus den USA
Irischen Nationalismus betreffend hat sich auf der grünen Insel in den vergangenen Jahren also ein starker Wandel vollzogen. Je weiter der Guerillakrieg der IRA zurückliegt, desto selbstbewusster stellen extreme Rechte und Neonazis ihre ethnonationalistischen Parolen unter das irische Banner. Faschistische Parteien wie die National Party (2016), die Irish Freedom Party und die Antiabtreibungspartei Human Dignity Alliance (beide 2018) wurden gegründet, deren Bedeutung blieb aber zunächst begrenzt. Ebenfalls 2018 ging das rechte Portal Gript online.
Im Zuge der Covid-19-Pandemie gab es in Irland sogenannte Coronaproteste, wenngleich in deutlich geringerem Maß als in Deutschland. Schnell wurden diese Proteste von den neuen faschistischen Formationen übernommen. Insbesondere über Social Media und Gript wurden Falschinformationen und Verschwörungserzählungen verbreitet. Zeitgleich gab es auch innerhalb der Linkspartei Sinn Féin Zerwürfnisse wegen ihrer klaren Haltung in Sachen Antirassismus, Unterstützung queerer Lebensformen und Recht auf Schwangerschaftsabbruch. 2019 verließen konservative Republikaner Sinn Féin und gründeten die Partei Aontú.
Etwa ab Herbst 2022 gab es in Irland landesweit rassistische Mobilisierungen gegen die Unterbringung von Asylsuchenden und Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Geflüchtete wurden oftmals in leerstehenden Hotels untergebracht, auch in sehr verlassenen Regionen ohne jede Infrastruktur. Zunächst kleine Proteste wurden von irischen und britischen Neonazis angeheizt. Die Faschisten nutzen die extreme Wohnungsnot, den Zerfall des Gesundheitswesens infolge der Rezession im Jahr 2008 und die darauffolgende Phase harter Sozialkürzungen, um gegen Einwanderer zu hetzen. An einigen Orten wurden bezugsfertige Gebäude niedergebrannt. Einen heftigen Gewaltausbruch gab es im November 2023 in Dublin, nachdem dort ein Mann drei Mädchen mit einem Messer verletzt hatte und Neonazis sowie rechte Influencer die Falschmeldung verbreiteten, der Täter sei Asylsuchender. Es kam zu Plünderungen, Brandstiftungen und Angriffen auf die Polizei.
Insgesamt ist festzustellen, dass die weite Verbreitung rassistischer Hetze und gezielter Falschmeldungen über Plattformen von Techmilliardären wie Facebook, Instagram und X erheblichen Einfluss auf die Ereignisse in Irland der vergangenen Jahre hatte. Die irische Journalistin Izzy Copestake hat für das Kulturmagazin District die Urheberschaft vieler Social-Media-Posting untersucht. »Die meisten neuen Posts stammten nicht aus Irland, sondern aus den USA und Großbritannien«¹¹, so das Fazit ihrer Analyse. Schlagwörter wie »Irish Lives Matter« erreichten erst durch reichweitenstarke rechte Nutzer breite Aufmerksamkeit. Auch der extrem rechte US-Fernsehmoderator Tucker Carlson befasste sich mit den Mobilisierungen in Irland. In einem Gespräch mit Steve Bannon, dem ehemaligen Chefstrategen von Donald Trump, behauptete er, die irische Regierung arbeite daran, »die Bevölkerung Irlands durch Menschen aus der Dritten Welt zu ersetzen«. So erreicht die unter Neonazis verbreitete Erzählung des »großen Austauschs« (»great replacement«) selbst die entlegensten Regionen Irlands. Mit Hilfe der Einflüsterer aus Donald Trumps Bewegung »Make America Great Again« (MAGA) kapern extrem Rechte den jahrhundertelang antikolonial und freiheitlich geprägten irischen Nationalismus – zunehmend mit Erfolg.
Wohl am lautesten ist hier die National Party. Sie bedient sich moderner Neonazirhetorik (»Remigration Now!«), träumt vom »homogenen Volk, (…) vereint durch Verwandtschaft, Kultur und dem Gefühl einer spirituellen Heimat«, inszeniert sich als Verteidigerin der irischen Sprache und verbindet dies mit einem ultrakonservativen Familienbild und »Pro Life«-Propaganda. Die Kleinstpartei bezieht sich ausdrücklich auf den eingangs genannten Osteraufstand von 1916 und verkehrt dessen freiheitlichen Charakter in einen konservativen Patriotismus. Ästhetisch bedient sich die National Party sowohl an den Schmierscheitelträgern der »Identitären Bewegung«, als auch an Trumps schriller MAGA-Welt. Hinzu kommen Dudelsack und keltischer Schick – »Make Ireland Great Again« ist auf grüne Kappen gestickt. Theobald Wolf Tone und James Connolly würden sich im Grabe herumdrehen.
Anmerkungen
1 Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. In: MEW Band 2, Dietz-Verlag, Berlin/DDR 1972, S. 225–506
2 Vgl. Karl Marx: Die englische Regierung und die eingekerkerte Fenier. In: L’Internationale; zitiert nach: MEW Band 16, S. 401–406
3 Vgl. Friedrich Engels: Die Geschichte Irlands. In: MEW Band 16, S. 459–498
4 Vgl. Jenny Marx: Artikel zur irischen Frage. In: MEW Band 16, S. 579–601
5 Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1, MEW Band 23, S. 730
6 Karl Marx: Brief an Friedrich Engels vom 30.11.1867, MEW Band 31, S. 398–400, hier: S. 399
7 Ebd.
8 Karl Marx: Brief an Sigfrid Meyer und August Vogt vom 9.4.1870, MEW Band 32, S. 665–670, hier: S. 669
9 Vgl. Andreas Pittler: Geschichte Irlands. Papyrossa, Köln 2022, S. 21–22
10 Karl Marx: Aufzeichnung eines Vortrages zur irischen Frage. In: MEW Band 16, S. 550–552
11 Vgl. https://districtmagazine.ie/counter-culture/the-global-far-right-are-exploiting-a-broken-ireland/
Florian Osuch schrieb an dieser Stelle zuletzt am 9. August 2025 über Stand und Perspektiven der in die Krise geratenen Druckindustrie: »Unter hohem Druck«
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