Anklage gegen Kneecap fallengelassen
Von Dieter Reinisch
Zu dem Termin am Freitag vormittag gekommen waren diesmal alle drei Kneecap-Mitglieder mit Sturmhaube in irischen Farben, nicht nur DJ Provaí, dessen Markenzeichen dies ist. Erneut musste nämlich Liam O’Hanna, dessen Bühnenname Mo Chara lautet, in London vor Gericht erscheinen. Zum in dieser Sache dritten, aber auch letzten Mal, wie sich herausstellte. Denn das Verfahren wurde am Freitag »aus technischen Gründen« eingestellt. Vor dem Gerichtsgebäude feierten mehr als tausend Anhänger.
O’Hanna war beschuldigt worden, vergangenen Herbst bei einem Konzert in der britischen Hauptstadt eine Fahne der libanesischen Hisbollah gezeigt zu haben, die dort als Terrororganisation gilt. Im Mai hatte der Prozess vor dem Amtsgericht Westminster begonnen. Doch die Vorwürfe gegen den Musiker können nicht weiterverfolgt werden, da die Klage nicht innerhalb der nötigen Frist von sechs Monaten eingereicht worden war, erklärte das Strafgericht nun. Demnach soll die Staatsanwaltschaft einen Tag verspätet Anklage erhoben haben.
Sichtlich erleichterte Bandmitglieder traten danach vor ihre zahlreichen Anhänger und die ebenfalls in großer Zahl versammelten Medien: »Bei diesem ganzen Prozess ging es nie um mich, nie um Terrorismus«, erklärte O’Hanna. »Es ging immer um Gaza, darum, was passiert, wenn man es wagt, seine Meinung zu sagen.« Wenn sich jemand des Terrorismus schuldig gemacht habe, dann sei dies der britische Staat, so O’Hanna.
In einer Stellungnahme, die die Band später auf X veröffentlichte, heißt es, Terrorismus sei ein Wort, das die britische Regierung verwende, »um Menschen zu diskreditieren, die sie unterdrückt«. Und weiter: »Als Menschen aus Irland kennen wir Unterdrückung, Kolonialismus, Hungersnot und Völkermord. Wir haben unter ihrem ›Imperium‹ gelitten und leiden darunter immer noch.« Der Versuch, die Band zum Schweigen zu bringen, sei allerdings gescheitert: »Wir werden nicht schweigen. Wir haben gesagt, wir würden sie vor ihrem Gericht bekämpfen, und wir würden gewinnen. Das haben wir.« Kneecap beendet die Stellungnahme mit den beiden Slogans »Freies Palästina« und »Tiocfaidh ár lá« (Unser Tag wird kommen), der in Irland historisch im Zusammenhang mit militantem Republikanismus verwendet wird und Unterstützung für antikolonialen Kampf signalisiert.
Auch viele Politiker aus Irland waren angereist, um Kneecap vor dem Gerichtsgebäude zu unterstützen. Die nordirische Regierungschefin Michelle O’Neill von der linksrepublikanischen Partei Sinn Féin sagte: »Diese Anklagen waren Teil eines kalkulierten Versuchs, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die sich gegen den israelischen Völkermord in Gaza erheben.« Sie betonte, die Band habe ihre »Plattform auf Bühnen auf der ganzen Welt genutzt, um diesen Völkermord anzuprangern, und es liegt in der Verantwortung von uns allen, weiterhin unsere Stimme zu erheben und gegen Ungerechtigkeit in Palästina vorzugehen«.
Vertreten wurde die Band durch Darragh Mackin von der Belfaster Anwaltskanzlei Phoenix Law. Er sagte nach der gescheiterten Anklage: »Der Einsatz von Sondervollmachten gegen Iren in der britischen Hauptstadt ist nicht neu. Was allerdings auch nicht neu ist: Sie nennen uns nicht ohne Grund die ›kämpfenden Iren‹ – wir geben niemals auf.« Ein Ende der Gerichtsprozesse bedeutet die Einstellung für Kneecap aber nicht: Nachdem viele Veranstalter ihre Konzerte in den vergangenen Monaten abgesagt haben, darunter Auftritte beim Coachella-Festival in Kalifornien im April und Anfang September in Wien, geht die Band nun rechtlich gegen die Absage einer Kanada-Tournee vor.
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