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Aus: Ausgabe vom 15.11.2025, Seite 5 / Inland
Mit Schulden gegen die Krise

Sparschweine im Notstand

Koalition will Wirtschaftskrise mit Megaschulden stoppen. Sachverständige helfen bei der Geldsuche
Von Klaus Fischer
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Klare Linie: Noch viel mehr Schulden aufnehmen (Sitzung des Haushaltsausschusses am Donnerstag abend)

Auch deutschen Spitzenpolitikern dämmert die Wahrheit: Die Wirtschaft steckt in der Krise. Industrie und Handwerk erodieren, große Unternehmen wandern ab, kleinere gehen pleite. Hunderttausende gutbezahlte Jobs stehen vor der Vernichtung – eine der wichtigen Quellen für Steuereinnahmen. Jetzt will die Koalition aus Union und SPD gegen eine der Hauptursachen der Talfahrt angehen – den (großteils selbst verursachten) hohen Strompreis. Am späten Donnerstag erzielten man im Koalitionsausschuss eine Einigung: Betroffene Firmen sollen spürbar entlastet werden.

Der Industriestrompreis soll von 2026 bis 2028 auf fünf Cent pro Kilowattstunde gesenkt werden. Begünstigte seien vor allem Betriebe der Chemie-, Metallerzeugungs- und der Glasindustrie. Subventionen aus Steuermitteln sind leicht versprochen – doch immer schwerer zu finanzieren. Welcher Ausweg da wohl bleibt? Genau: Das Staatsbudget muss erhöht werden.

Seit der Nacht zu Freitag liegt jetzt ein Etatentwurf vor, den der Haushaltsausschuss des Parlaments abgesegnet hat. Und der setzt die Linie fort, die seit Jahresanfang vom vorherigen Bundestag auf den Weg gebracht wurde und von der aktuellen Koalition weitergeführt wird: Noch viel, viel mehr Schulden aufnehmen.

Für 2026 sind jetzt Ausgaben von rund 524,5 Milliarden Euro vorgesehen. Das seien vier Milliarden mehr als ursprünglich beabsichtigt, schreibt die Nachrichtenagentur AFP am Freitag. Die Neuverschuldung steigt damit enorm an. Der Ausschuss segnete demnach Kredite von fast 98 Milliarden Euro allein im Kernhaushalt ab. Und das ist nur die Spitze. Hinzu kämen »ausgelagerte« Milliardenkredite aus den »Sondervermögen« (für geplante Aufrüstung und die dafür notwendige Infrastruktur). Für 2026 macht das mehr als 180 Milliarden Euro aufzunehmender Verbindlichkeiten. Und tatsächlich – die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wird dennoch eingehalten. Sie wurde ja in diesem Jahr extra »gelockert«.

Alle Beteiligten ahnen zumindest, dass mit einer exzessiven Verschuldung Probleme verbunden sind. Die ergeben sich nicht nur für kommende Generationen von Steuerzahlern, sondern tangieren sehr wohl die aktuell und künftige Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft. Allein die jährliche Zinsbelastung ist bei zahlreichen EU-Staaten inzwischen einer der größten Haushaltsposten. Frankreich beispielsweise steckt in einer Schuldenkrise, die sich mehr und zur Staatskrise ausgeweitet hat.

Das ganze Problem ist auch den »Wirtschaftsweisen« bekannt, die diese Woche ihr Herbstgutachten abgeliefert haben. Sie präsentierten eine Vorhersage, wonach das Bruttoinlandsprodukt 2026 (endlich einmal wieder) steigen könnte. Um stolze 0,9 Prozent dürfte die Wirtschaftsleistung zulegen. Doch statt die aktuelle Wirtschaftspolitik als Krisenverursacher klar zu benennen, vermeidet der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung harte Kritik.

Statt dessen präsentiert das Gremium ein paar nette Vorschläge, wie beispielsweise die Steuerschraube weiter angezogen werden könnte. Bei der Erbschaftssteuer etwa: Aktuell werden bei Erbschaften und Schenkungen vor allem Betriebsvermögen steuerlich stark begünstigt. Damit soll vermieden werden, dass Unternehmen aufgeben müssen, weil die neuen Besitzer die Erbschaftsteuer aus dem Privatvermögen nicht zahlen können. Kritisiert wurde von den »Weisen« laut dpa jedoch, dass durch diese Regelungen sehr hohe Erbschaften und Schenkungen häufig vergleichsweise gering besteuert würden. Bei Erbschaften von 100.000 bis 200.000 Euro würden im Schnitt 13 Prozent Steuern gezahlt, über 20 Millionen nur acht Prozent. Das sei ungerecht, so die Sachverständigen – mit einer Gegenstimme.

Wenn Politiker und Experten mit sechsstelligen Jahreseinkommen von Gerechtigkeit sprechen, ist immer Vorsicht geboten. Vor allem dann, wenn sie auf der Suche nach mehr Steuereinnahmen sind. Fakt ist: Bei der derzeitigen Haushaltslage, dem gigantischen Schuldenberg und den großen schwarzen Löchern für Steuergeldabflüsse (EU-Finanzierung, Schuldendienst, Alimentierung des Selenskij-Regimes, Klimarettung – und vor allem die Herstellung von Kriegstüchtigkeit) werden eher früher als später die Sozialausgaben ins Visier genommen.

Letztlich sind Steuererhöhungen bei sinkender volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit kein Ausweg – eher einer zur Verstärkung der Probleme. Geht es den Erben von Fabriken, Handwerksbetrieben und Dienstleistern an den Kragen, versiegen diese Quellen für Profite, Löhne und Steuereinnahmen. Angriffe auf die Sparschweine von Multimillionären und Milliardären sind kaum erfolgversprechend; sie können diese leicht anderswo verstecken. Bleibt nur die Umsatzsteuer, die schlimmste aller Abgaben für Menschen mit geringem Einkommen. Dem BRD-Staat fließen aktuell rund eine Billion Euro an Steuereinnahmen zu. Die Staatsquote liegt über 50 Prozent. Da ist kein Spielraum mehr.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf K. aus Berlin (15. November 2025 um 10:07 Uhr)
    Der Text von Klaus Fischer wiederholt zum Thema Steuerpolitik und Sozialstaat die Argumente des Großkapitals und nimmt sie anscheinend für bare Münze. Genauso wie Sozialisten selbstverständlich die Kämpfe für höhere Löhne und bessere sozialstaatliche Leistungen, bzw. gegen ihre Verschlechterung, unterstützen, müssen sie das auch für eine Erbschaftsteuer tun, die auch die sehr reichen Kapitalistenfamilien trifft, nicht nur die mit niedrigeren Millionenvermögen. Bei alledem behaupten die Unternehmerverbände und neoliberalen Schreiberlinge, dass dies die Profite schmälern und die Wirtschaft schädigen würde, obwohl Letzteres unzutreffend ist. Bei der Erbschaftsteuer anerkennen sogar die weniger korrumpierten Teile der Mainstream-Wirtschaftswissenschaften: Es gibt keinerlei Belege, dass eine Erbschaftsteuer auf große Kapitalvermögen schadet. Sozial und gewerkschaftlich orientierte Wissenschaftler sehen das ohnehin so. Ebenso ist es Unfug, es gäbe keinen Spielraum für den Schutz und Ausbau des Sozialstaats. Ökonomisch schädlich ist die Hochrüstung, die Ressourcen verschwendet. Mehr Ausgaben für zivile Infrastruktur, Bildung, Gesundheit wären dagegen ökonomisch nützlich, Kredite dafür finanzieren sich durch Wachstumswirkungen weitgehend selbst. Es ist eine Frage des konkreten Klassenkampfs, wie weit Finanzengpässe des Staates zu Sozialabbau und höheren Massensteuern führen, oder ob soziale und Friedensbewegungen eine höhere Besteuerung der Reichen und Gewinne und eine Abkehr von der Hochrüstung erkämpfen. Die Aussichten dafür sind gerade schlecht, und so oder so wird das den Kapitalismus nicht überwinden. Aber unabhängig davon müssen Sozialisten diese Kämpfe unterstützen. Die Aufgabe der jungen Welt ist es, sie beim Kampf um die Köpfe zu unterstützen. Der Text von Klaus Fischer dagegen desorientiert. Ihn kennzeichnet eine bemerkenswerte Unfähigkeit, die Widersprüche des realen Klassenkampfs und die Aufgaben darin zu erkennen. Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär und Ökonom