Museal
Von Arnold Schölzel
Wer rüstet, um »die« Wirtschaft aus Rezession und Stagnation zu zerren, und im Kopf schon Krieg gegen Russland führt, scheitert. Mit immer größerer Wahrscheinlichkeit in einem gewaltigen Krach. Allerdings sah es am Donnerstag nicht so aus, als ob der am Abend tagende Koalitionsausschuss die wirtschaftspolitische Geisterfahrt, die von den »Zeitenwendern« 2022 angeschoben wurde, beendet. Im Gegenteil. Die jüngsten Vorschläge aus dem Merz-Klingbeil-Kabinett zur Ankurbelung der Konjunktur sind so grotesk und hilflos wie die der Vorgängerregierung. Da will zum Beispiel die Wirtschaftsministerin den Strompreis auf fünf Cent pro Kilowattstunde senken – für rund 2.000 Betriebe. Das löst beim deutschen Kapital Freude aus. Und die deutsche Stahlindustrie, die laut Kanzler in einer »existenzbedrohenden Krise« steckt, wird garantiert nicht gerettet. Die Chemieindustrie warnt wegen häufigerer Schließung von Anlagen vor einem »Knockout« der Branche. Am Donnerstag teilt die FAZ nebenbei mit, dass BASF nicht mehr der größte Chemiekonzern der Welt ist, sondern Chinas Sinopec. Die deutsche Industrieproduktion schrumpft seit acht Jahren, die Massenentlassungen haben begonnen.
Und die »Wirtschaftsweisen«? Die Damen und Herren sehen sich am liebsten im Fernsehen und geben sich ansonsten ihrem Hofschranzendasein hin. Entsprechend schön fallen ihre Vorhersagen aus: Die Neugestaltung der Erbschaftssteuer soll alles herumreißen. Selbst sie wissen aber: Von den 0,9 Prozent Wirtschaftswachstum, die laut ihren Kristallkugeln für 2026 bevorstehen, entfallen 0,3 Prozent darauf, dass einige Feiertage aufs Wochenende fallen. 0,3 Prozent sollen die Staatsausgaben auf Pump hervorbringen, weitere 0,3 Prozent private Unternehmen. Anders gesagt: Die Milliardensummen für Rüstungskonzerne bringen nichts. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Peter Leibinger, fasste am Donnerstag im Deutschlandfunk zusammen: »Unser Modell zerbricht gerade,«
Das übliche Gejammer der deutschen Großbourgeoisie, wenn sie es wieder mal vergeigt hat? Auch. Darauf deuten schon die Angaben zu den Ursachen der Rezession von 2023 und 2024 sowie der jahrelangen Stagnation: Die Leute legen zuviel auf die hohe Kante, statt zu konsumieren, die Renten müssen endlich kräftig gekürzt werden, die Bürokratie erwürgt alles, und Zölle müssen her, um vor allem die Konkurrenz aus China abzuwehren. Das kommt aus der ökonomischen Mottenkiste und entspricht dem Zustand der deutschen Industrie – irgendwo zwischen museal (Infrastruktur, Wohnungsmangel, Bildungsmisere) und Prinzip Hoffnung. Einige Konzerne fliehen mit ihrer Produktion ohne Aufhebens nach China.
Das besagt: Den Schuss haben die meisten hierzulande noch nicht gehört. Die Bevölkerung soll schon gar nichts wahrnehmen. Wetten, dass die Idee vom (Kolonial-)Krieg, der es richtet, sich ausbreitet?
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