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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 3 / Ansichten

Museal

Nach Gutachten der »Wirtschaftsweisen«
Von Arnold Schölzel
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Die »Wirtschaftsweisen« geben sich ihrem Hofschranzendasein hin (Berlin, 12.11.2025)

Wer rüstet, um »die« Wirtschaft aus Rezession und Stagnation zu zerren, und im Kopf schon Krieg gegen Russland führt, scheitert. Mit immer größerer Wahrscheinlichkeit in einem gewaltigen Krach. Allerdings sah es am Donnerstag nicht so aus, als ob der am Abend tagende Koalitionsausschuss die wirtschaftspolitische Geisterfahrt, die von den »Zeitenwendern« 2022 angeschoben wurde, beendet. Im Gegenteil. Die jüngsten Vorschläge aus dem Merz-Klingbeil-Kabinett zur Ankurbelung der Konjunktur sind so grotesk und hilflos wie die der Vorgängerregierung. Da will zum Beispiel die Wirtschaftsministerin den Strompreis auf fünf Cent pro Kilowattstunde senken – für rund 2.000 Betriebe. Das löst beim deutschen Kapital Freude aus. Und die deutsche Stahlindustrie, die laut Kanzler in einer »existenzbedrohenden Krise« steckt, wird garantiert nicht gerettet. Die Chemieindustrie warnt wegen häufigerer Schließung von Anlagen vor einem »Knockout« der Branche. Am Donnerstag teilt die FAZ nebenbei mit, dass BASF nicht mehr der größte Chemiekonzern der Welt ist, sondern Chinas Sinopec. Die deutsche Industrieproduktion schrumpft seit acht Jahren, die Massenentlassungen haben begonnen.

Und die »Wirtschaftsweisen«? Die Damen und Herren sehen sich am liebsten im Fernsehen und geben sich ansonsten ihrem Hofschranzendasein hin. Entsprechend schön fallen ihre Vorhersagen aus: Die Neugestaltung der Erbschaftssteuer soll alles herumreißen. Selbst sie wissen aber: Von den 0,9 Prozent Wirtschaftswachstum, die laut ihren Kristallkugeln für 2026 bevorstehen, entfallen 0,3 Prozent darauf, dass einige Feiertage aufs Wochenende fallen. 0,3 Prozent sollen die Staatsausgaben auf Pump hervorbringen, weitere 0,3 Prozent private Unternehmen. Anders gesagt: Die Milliardensummen für Rüstungskonzerne bringen nichts. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Peter Leibinger, fasste am Donnerstag im Deutschlandfunk zusammen: »Unser Modell zerbricht gerade,«

Das übliche Gejammer der deutschen Großbourgeoisie, wenn sie es wieder mal vergeigt hat? Auch. Darauf deuten schon die Angaben zu den Ursachen der Rezession von 2023 und 2024 sowie der jahrelangen Stagnation: Die Leute legen zuviel auf die hohe Kante, statt zu konsumieren, die Renten müssen endlich kräftig gekürzt werden, die Bürokratie erwürgt alles, und Zölle müssen her, um vor allem die Konkurrenz aus China abzuwehren. Das kommt aus der ökonomischen Mottenkiste und entspricht dem Zustand der deutschen Industrie – irgendwo zwischen museal (Infrastruktur, Wohnungsmangel, Bildungsmisere) und Prinzip Hoffnung. Einige Konzerne fliehen mit ihrer Produktion ohne Aufhebens nach China.

Das besagt: Den Schuss haben die meisten hierzulande noch nicht gehört. Die Bevölkerung soll schon gar nichts wahrnehmen. Wetten, dass die Idee vom ­(Kolonial-)Krieg, der es richtet, sich ausbreitet?

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (14. November 2025 um 05:37 Uhr)
    Wir befinden uns in der Vorkriegswirtschaft. Ein Blick in die jüngere deutsche Geschichte reicht, um das zu verstehen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erließ Kaiser Wilhelm II. die »Flottengesetze«. Deutschland sollte die britische Seemacht überholen und zur Seemacht Nr. 1 werden. Ergebnis: Der Erste Weltkrieg. Die Soldaten, die in diesem Krieg starben, waren sehr oft diejenigen, die in den Stahlwerken den Stahl kochten, der dann zu gigantischen Schlachtschiffen wurde. Nach der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde entgegen den Regelungen des Versailler Vertrages zur Entmilitarisierung Deutschlands erneut eine Rüstungsindustrie ausgebaut, die Infrastruktur militarisiert und die Arbeitslosen wurden erst in den Reichsarbeitsdienst gepresst und dann auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges verheizt. Und nun läuft das ganze System von vorn an: Deutschland soll die größte Streitmacht Europas bekommen. Zuerst wird die Industrie militarisiert, Rüstungskonzerne sollen die Wirtschaft ankurbeln und die Gesellschaft soll insgesamt kriegstüchtig gemacht werden. Man holt also die alte deutsche Strategie aus dem Museum. Es geht wieder um Rohstoffe, es geht um Nahrungsmittelversorgung, es geht um Absatzmärkte für die eigene, schrumpfende zivile Industrie. Und die Quellen für diese Begehrlichkeiten liegen nun mal im Osten Europas. Dafür wird einem absolut korrupten Regime in der Ukraine alles geliefert, was es braucht, um dieser Vorbereitung Zeit zu verschaffen. Merkt ihr noch was, liebe Mitmenschen? Wir stolpern im Gleichschritt in den nächsten Krieg gegen Russland. Ich erinnere an Bertold Brechts Aussage in seinem Brief an die Künstlerinnen und Künstler von 1951: »Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.« In diesen letzten Krieg treibt uns diese Regierung und die hinter ihr stehende Industrie …
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (14. November 2025 um 13:29 Uhr)
      Sehr geehrter Andreas E. , Sie schreiben : »Es geht wieder um Rohstoffe, es geht um Nahrungsmittelversorgung, es geht um Absatzmärkte für die eigene, schrumpfende zivile Industrie. Und die Quellen für diese Begehrlichkeiten liegen nun mal im Osten Europas. Dafür wird einem absolut korrupten Regime in der Ukraine alles geliefert, was es braucht, um dieser Vorbereitung Zeit zu verschaffen.« Anders lässt sich der finanzielle, militärische und propagandistische Aufwand betreffs der Ukraine ja gar nicht erklären. Auf der Welt toben inzwischen noch über 20 andere bewaffnete Konflikte und Kriege, ohne dass den meisten von ihnen dieser Sonderstatus an Aufmerksamtkeit und solch verbissener Milliardenaufwand auf Kreditbasis gewährt wird. Wenn man voraussetzt, dass im Kapitalismus niemandem »einfach so« geholfen wird, aus moralischen Gründen, dass sich alles rentieren muss oder andernfalls unterbleibt- was auch immer gesagt wird, dann erhebt sich die Frage: Von welcher Seite soll der Gewinn kommen für diesen hohen Einsatz? Die Hochrüstung der Ukraine und die Ausrichtung ihrer Armee und Geheimdienste auf NATO-Standards sowie der Krieg im Donbass kosteten ja bereits spätestens ab 2014 etliche Summen,auch aus Deutschland. Vermutlich sind die Russen 2022 zu dem Schluss gekommen, dass man das von ihnen zurückholen will, dass sie diesen Krieg ohnehin zu erwarten haben, auch wenn sie stillhalten und abwarten wie 1941. Die einmalig aufwändige und verbissene Unterstützung der Ukraine sowie die Einrichtung zahlreicher neuer NATO-Basen in Schweden und 14 US-Stützpunkte in Finnland, all das beweist ja nur, wie wichtig dieser Brückenkopf Ukraine für die NATO war, dass der Ring der Einkreisung, dann zusammen mit Georgien immer weiter geschlossen werden sollte. Weder mit Finnland, Schweden noch Dänemark hatte Russland nach 1945 Probleme. Auch der Tonfall, den diese Länder anschlagen, ist ein Alarmzeichen, dass es bald losgehen soll.

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