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Aus: Ausgabe vom 15.11.2025, Seite 3 / Inland
Neue Truppen an den EU-Grenzen

Was droht uns mit der Quick Reaction Force von Frontex?

Die EU-Grenzagentur will mit der neuen Truppe bei Großereignissen im Inland aktiv werden, erfuhr Özlem Demirel
Interview: Marc Bebenroth
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Die EU-Grenzagentur Frontex wird fortlaufend ermächtigt und aufgerüstet. Wie weit ist ihre Militarisierung vorangeschritten?

Seit den 2010er Jahren wird Frontex mit Flugzeugen, Drohnen, Mitteln zur Seeaufklärung und mehr ausgestattet. In der vorherigen Legislatur kam der Beschluss für ein »Standing Corps« hinzu. Das heißt, dass Frontex erstmals mit eigenen Beamten ausgestattet wird. Der Beschluss sieht eine 10.000-Mann-Truppe bis Ende 2027 vor. Frau von der Leyen (EU-Kommissionspräsidentin, jW) möchte das mit der nächsten legislativen Reform noch auf 30.000 Mann erhöhen.

Die Grenztruppen der EU sollen um eine besonders schnelle Eingreiftruppe, die Quick Reaction Force, QRF, erweitert werden. Seit wann ist das geplant?

Mit der letzten Frontex-Verordnung von 2019 hat die Agentur die Möglichkeit einer »Rapid Border Intervention« für kurzfristige Einsätze geschaffen – immer unter Protest der Linken im EU-Parlament. Diese Kräfte wurden 2020 erstmals eingesetzt, als Erdoğan (türkischer Präsident, jW) die türkischen Grenzen öffnete und die Spannungen zwischen dem Erdoğan-Regime und der EU eskalierten. Die Quick Reaction Force ist jetzt neu. Noch ist der Umfang nicht klar definiert. Klar ist aber, dass sie sehr flexibel eingesetzt werden und für zeitlich ganz eng befristete Einsätze dienen soll.

Sie wollten mit einer parlamentarischen Anfrage herausfinden, was Frontex über diese QRF mitteilen kann. In der Antwort ist die Rede von neuen Herausforderungen, die ein noch schnelleres Agieren erforderlich machen würden.

Die Kommission will einen Sicherheitsapparat mit noch mehr Flexibilität haben, um eingreifen zu können, wo auch immer man es für nötig erachtet. Darin erklärt die Kommission auch, dass Frontex künftig zur Drohnenabwehr zum Einsatz kommen soll. Die Migrationsabwehr und das Mittelmeer dienten übrigens seit Jahren als Testfeld zur Entwicklung von Überwachungstechnologien. Welche Rolle für Frontex in den kommenden Jahren vorgesehen ist, wird anhand des Geredes von einer sogenannten hybriden Kriegführung anderer Staaten gegen die EU deutlich. Es ist kein Zufall, dass die Kommission das auch in ihrem am Mittwoch vorgestellten Asyl- und Migrationsbericht anführt.

In der Antwort erklärt Frontex, dass diese QRF in Zukunft auch bei geplanten Großereignissen wie »sportlichen Wettbewerben« oder »UN-Konferenzen« zum Einsatz kommen können soll. Was bedeutet das für Proteste und die Frage, wer für Verbrechen durch Beamte haftet?

Die Idee ist, dass Mitgliedstaaten diese Kräfte anfordern können, wenn sie feststellen, dass ihre Kapazitäten nicht ausreichen. Details sind nicht bekannt und müssen noch zwischen den Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Das Grundproblem bei der EU und auch bei Frontex bleibt: Die Mechanismen sind intransparent, und eine wirkliche Kontrolle gibt es nicht. Wir werden noch an vielen Stellen nachfragen müssen. So ist ein QRF-Einsatz auch anlässlich eines G7-Treffens denkbar, wo grenzüberschreitende Proteste zu erwarten sind. Was wir insgesamt beobachten, ist, dass mit der Versicherheitlichung der Migrationspolitik stärkere Überwachung und der autoritäre Umbau vorangetrieben werden. Die Abschottung und Militarisierung nach außen geht einher mit einer stärkeren Überwachung auch nach innen. Wir sollten also sehr wachsam sein. Diesem unmenschlichen Umgang mit Menschen in Not und Geflüchteten an den Außengrenzen stellen wir Linke uns seit jeher entgegen. Jetzt rückt diese Gewalt weiter ins Innere der EU.

Lässt sich die QRF noch verhindern?

Die Einrichtung der Quick Reaction Force ist eine operative Entscheidung und geht nicht mehr durch das Parlament. Im Gesetzgebungsprozess zu Frontex werden wir als Linke-Fraktion jeder weiteren Verschlechterung entgegentreten. Aber weil die Europäisierung von bestimmten staatlichen Aufgaben immer diese Intransparenz mit sich bringt, erfahren sehr viele Menschen nichts davon. Also geht es um Aufklärung und Mobilisierung von Gegenwehr. Im EU-Parlament sind rechte Parteien und Fraktionen sehr stark, und die EPP der Unionsparteien scheut die Zusammenarbeit nicht. Auf der parlamentarischen Ebene das beendet zu bekommen, ist schwer. Nur wenn wir wirklich große Proteste aus der Bevölkerung haben, können wir Dinge verändern.

Özlem Demirel (Die Linke) ist Abgeordnete im EU-Parlament

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