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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 15 / Antifaschismus
EU-Politik

Karriere gerettet

Ex-Frontex-Chef Leggeri tritt bei EU-Wahlen für rechte französische Partei »Rassemblement National« an
Von Hansgeorg Hermann
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Kann den »Experten« im Kampf gegen Flüchtlinge in den eigenen Reihen begrüßen: RN-Chef Jordan Bardella (19.2.2024)

Der ehemalige Chef der »Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache« (Frontex) Fabrice Leggeri schied im April 2022 aus dem Amt aus. Unter der Direktion des 55jährigen Franzosen waren einige hundert illegale »Rückführungen« von Flüchtlingen, sogenannte Pushbacks, vornehmlich an der griechisch-türkischen Grenze geduldet oder sogar gefördert worden. Frontex hatte unter seiner Leitung den Tod ganzer Familien in Kauf genommen. Auf Druck des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) und starker politischer Einwände gegen seine »Arbeit«, war er entlassen worden. Das Problem schien damit, nach immerhin zehn Jahren Zank um seine Person, gelöst.

Doch aller Voraussicht nach wird weder sein Heimatland noch Europa ihn los. Der ehemalige Diplomat, der sich bei OLAF einem Disziplinarverfahren unterziehen musste, wird wohl durch die weit geöffneten Tore des Europäischen Parlaments auf die politische Bühne zurückkehren. Am 17. Februar ist er der französischen Rechtsaußenpartei »Rassemblement National« (RN), Marine Le Pens Antiflüchtlingsbewegung, beigetreten. Dort schaffte er es prompt auf Platz drei der Parteiliste für die Wahlen zum EU-Parlament Anfang Juni. Ein Mandat ist ihm damit so gut wie sicher. Die Möglichkeit, mit seiner Fraktion für noch schärfere Immigrationsregeln einzutreten und mehr Geld für die mörderische Sicherung der europäischen Grenzen aus dem Brüsseler Haushalt loszuschlagen, tut sich damit für ihn auf. Sein neuer Chef, RN-Präsident Jordan Bardella frohlockte in der vergangenen Woche, einen echten »Experten« an Land gezogen zu haben, was die Abwehr und Behandlung unerwünschter Asylsuchender betreffe.

Der »Experte« selbst hat am 19. Februar vor Journalisten verkündet, seine Bewerbung um ein Mandat sei »die richtige Antwort«, nicht nur auf erlittene Schmach, sondern »um Frankreich und Europa auf den richtigen Weg zurückzuführen«. Da hatte er gerade seine erste Wahlveranstaltung hinter sich – an der Seite des 28jährigen Bardella, im Département Alpes-Maritimes, einer der den Rechten von jeher wohlgesonnenen Provinzen in Frankreich. Auf dem Programm des frisch gebackenen Kandidaten stand der Besuch einer Kaserne der Polizeiknüppeleinheit CRS und ein anschließender Abstecher an die von Leggeri als viel zu durchlässig beklagte italienisch-französische Grenze in den Bergregionen hoch über dem Mittelmeer. Bemerkenswert schien den Pariser Tageszeitungen Le Monde und Libération, dass Leggeri offenbar zunächst auch bei den bürgerlichen Rechten, den »Les Républicains« (LR), vorgesprochen haben soll, bevor er zum RN gegangen ist. In Strasbourg sei er mit Leuten aus dem persönlichen Umfeld des LR-Vorsitzenden Éric Ciotti gesichtet worden. Angeblich habe Leggeri zunächst versucht, auf seinen alten Posten als Direktor in einer der Abteilungen des Innenministeriums zurückzufinden. Es habe sich jedoch als »schwierig« erwiesen, dem politisch auch bei der LR nicht mehr genehmen Leggeri »eine allzu hoch angesiedelte, exponierte Position« zu gewähren.

Leggeri symbolisierte als ehemaliger Chef von Frontex jenes Europa, das seit 2015, dem Beginn seiner Amtszeit, rund 30.000 Menschen im Mittelmeer ertrinken ließ. Er stand stets hinter der kollegialen Zusammenarbeit mit der griechischen Marine, die bei den vielen hundert »Pushbacks« meist die Drecksarbeit für die rund 1.800 Frontex-Polizisten übernahm. Leggeri war zudem verantwortlich für die Kollaboration mit der kriminellen libyschen Küstenwache und »Pushbacks« im gesamten mediterranen Raum. Noch Ende 2020 hatte er sich und seine Leute für die getane Arbeit gelobt, ohne Widerspruch der EU-Institutionen: »Trotz der weltweiten Pandemie führten wir unsere Arbeit zur Sicherung des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts fort.« Und auch nach dem Wechsel an der Spitze der Agentur kam es im Mittelmeer weiter zu vermeidbaren Havarien mit Hunderten Toten: Am 14. Juni 2023 sank vor der Halbinsel Peloponnes, unter den Augen der Frontex-Wächter, ein mit Flüchtlingen überladener Fischkutter. Die Bilanz: 600 Tote.

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