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Aus: Ausgabe vom 13.11.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Tarifrunde der Länder

Schluss mit Reallohnverlust

Vor der Tarifrunde: Verdi-Betriebsgruppe der Freien Universität veröffentlicht eigene TVL-Forderung. Verdi löscht Beitrag und sperrt Homepage
Von Susanne Knütter
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Man wird sehen, was davon bleibt

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft wollte von den Gewerkschaftsmitgliedern unter den Landesbediensteten wissen, für welche Forderung sie in der kommenden Tarifrunde im Öffentlichen Dienst kämpfen würden. Die Antwort der Verdi-Betriebsgruppe der Freien Universität in Berlin ging der Gewerkschaft zu weit. Auf der Internetseite der Betriebsgruppe veröffentlichte sie den Beschluss ihrer Mitgliederversammlung. Zu ihrer Forderung gehört unter anderem die nach »600 Euro Festgeld statt Reallohnverlust«. Die Fachbereichsleitung des Verdi-Bezirks Berlin-Brandenburg nahm den Beitrag daraufhin von der Internetseite. Einen Tag später schaltete sie sogar die komplette Homepage ab.

Was war geschehen? Anfang November veröffentlichten das »Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi« und das »Netzwerk kämpferischer Gewerkschafter:innen in der GEW« ein Flugblatt, in dem sie mit der Mitgliederbefragung von Verdi hart ins Gericht gingen. Darin heißt es: »Eine Forderung von sieben Prozent wird als Rahmen vorgegeben, und die Mitglieder können lediglich bewerten, ob diese zu hoch, zu niedrig oder passend ist.« Das System der »Tarifbotschafter:innen« sollte »eigentlich eine Rückkopplung zwischen Betrieben und Verhandlungsführern und -führerinnen ermöglichen, doch in der Realität beschränken sich Videokonferenzen auf Chat-Fragen und unterbinden so jegliche echte Debatte«, heißt es weiter. Daraus schlussfolgerten die in den Netzwerken organisierten Gewerkschafter: »Lasst uns Resolutionen in unseren Betriebsgruppen verabschieden und deutlich machen, dass wir keine Nullrunden mehr akzeptieren.«

Gesagt, getan: Am 6. November beschloss die Mitgliederversammlung der Verdi-Betriebsgruppe der FU die später verbotene Stellungnahme, mit der sie die Forderung der Gewerkschaftsnetzwerke unterstützten. Darin heißt es unter anderem: Eine Forderung von sieben Prozent wäre »geringer als im TVöD und würde voraussichtlich wieder zu einer über zweijährigen Laufzeit führen, die nach der dritten Verhandlungsrunde routinemäßig mit einem unzureichenden Abschluss beendet wird«. Der letzte Abschluss Ende 2023 habe einen Reallohnverlust gebracht. »Die aktuelle Tarifrunde mag neu sein, die Verluste auf dem Konto sind es nicht.« Bei Lohnforderungen müssten daher auch die Verluste der Vergangenheit ausgeglichen werden. Eine Festgeldforderung komme insbesondere den kleinen Entgeltgruppen zugute.

Darüber hinaus fordern sie Angleichung an den besseren Tarifvertrag von Bund und Kommunen und eine analoge Tarifvertragslaufzeit mit diesem. Dann könnte man das nächste Mal zusammen streiken und das würde die Durchsetzungsmacht aller öffentlich Beschäftigten erhöhen und in Zukunft zu besseren Ergebnissen führen. Außerdem habe man einen Beschluss der FU-Betriebsgruppe von Sommer 2023 bekräftigt, der vor dem Hintergrund immenser Rüstungsausgaben klar machte: »Geld ist da und es gibt keinen Grund für uns, bescheiden zu sein.«

Klingt eigentlich vernünftig. Verdi kritisiert gegenüber jW entsprechend nicht die Forderung, sondern deren Veröffentlichung, auch wenn es sich um die Internetseite der FU-Betriebsgruppe handelt. »Diese Diskussion führen wir intern, weil es wichtig ist, sich gegenseitig zuzuhören, statt sich mit dem Lautsprecher über den vermeintlich richtigen Klassenstandpunkt zu belehren«, sagte Kalle Kunkel am Mittwoch gegenüber jW. Auf der Konferenz, wo laut dem Sprecher von Verdi Berlin-Brandenburg 100 Kolleginnen und Kollegen aus allen Landesbetrieben in Berlin und Brandenburg die Forderungen diskutiert haben, hätten sich »nur« zwei FU-Kollegen »aktiv in die Debatte eingebracht«. Allerdings durften laut Einladung auch nicht mehr Kollegen pro Betrieb teilnehmen, sagte ein Mitglied des Betriebsgruppenvorstands gegenüber jW. Und betonte: Man beteilige sich immer in den Gremien, »unsere Forderungsdiskussion findet zusätzlich statt«. Und hinterher gehe man mit der geeinten Forderung von Verdi in den Streik. Der Betriebsgruppe ist eine öffentliche Debatte wichtig. Für Verdi »rechtlich« zu heikel: Die Internetseite bleibt damit bis auf weiteres offline.

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  • Leserbrief von H.-W. Schuster aus Düsseldorf (13. November 2025 um 21:40 Uhr)
    Zitiert wird der Pressesprecher von ver.di Berlin-Brandenburg, K. Kunkel, mit den Worten: »Diese Diskussion [gemeint ist die Forderungsdiskussion] führen wir intern, weil es wichtig ist, sich gegenseitig zuzuhören, statt sich mit dem Lautsprecher über den vermeintlich richtigen Klassenstandpunkt zu belehren«. Klassenstandpunkt! Richtig, Kollege Kunkel, darum geht es! K. Kunkel hat offensichtlich einen anderen »Klassenstandpunkt« als die Kolleginnen und Kollegen der Betriebsgruppe, deren Position er als »vermeintlich richtigen Klassenstandpunkt« abqualifiziert. K. Kunkel wendet sich faktisch gegen eine Klassenposition, die Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen selbstverständlich einnehmen können und deshalb müssen. Die Führung einer Organisation, die sich in den Burgfrieden integriert, sich dem »Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit« und der »Sozialpartnerschaft« verpflichtet, weist Klassenpositionen dementsprechend zurück und diskreditiert sie als fälschliche. Daraus leiten Kräfte des Apparates dann ihr Recht ab, eine Internetseite vom Netz zu nehmen. Doch halten wir fest: Es sind die Mitglieder der Organisation, die sie mit ihren Beiträgen finanzieren, einschließlich die Gehälter der Kunkels. Und die Interessen der Mitglieder, die ihre Arbeitskraft möglichst teuer verkaufen müssen, haben sich dafür organisiert. Auch das ist eine Klassenposition.

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