FU Berlin abgemahnt
Von Max Grigutsch
Nicht im Anzug, sondern in Gewerkschaftsweste erschien ein Beschäftigter der Freien Universität Berlin, Lukas S., am Mittwoch vor Gericht. Geklagt hatte der Elektriker und Betriebshandwerker, der im Vorstand der Verdi-Betriebsgruppe aktiv ist, gegen eine Abmahnung des Unipräsidiums. Dieses hatte sich an einer Veröffentlichung der Gewerkschaftsgruppe gestört, nach der die FU wegen ihrer gewerkschaftsfeindlichen Praktiken eine Mitschuld am Erstarken der Rechten habe.
Schmähkritik, findet die FU. Freie Meinungsäußerung mit wahrem Tatsachenkern, befand das Landesarbeitsgericht Berlin am Mittwoch nachmittag und gab damit der Klage des Beschäftigten statt. Die FU ist verurteilt, die Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Eine Revision ist nicht zulässig. Bis Redaktionsschluss konnte die Pressestelle der Uni noch nicht sagen, ob die FU Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen werde.
Ursprung der Auseinandersetzung war ein Aufruf der Betriebsgruppe zu einer Demonstration gegen die AfD von Ende Januar 2024. Darin heißt es, rechtes Gedankengut wachse am besten in einem solchen Klima der Prekarität. Das gelte auch für Unternehmer. »Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, bekämpft aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse und sorgt so für politischen Verdruss«. Außerdem seien »Beschäftigtengruppen der unteren Lohngruppen und mit hohem Migrantenanteil wie z. B. Reinigungskräfte an der FU ausgegliedert« und dadurch schlechter gestellt.
Der strittige Satz: »Im Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist.« S. bekräftigte die Stoßrichtung am Mittwoch gegenüber junge Welt: »Wir sehen unsere Gewerkschaftsarbeit nicht nur darin, für mehr Urlaub zu streiten; wir wollen auch antirassistisch wirken.«
Doch für den Aufruf setzte es Abmahnungen. Das sei »arbeitsrechtlich die Vorstufe zur Kündigung«, erklärte Reinhold Niemerg, der Anwalt von S., im Gespräch mit jW. Nach Auffassung der FU handelt es sich bei den Vorwürfen um eine ehrverletzende Kritik und einen Verstoß gegen die Treue- und Loyalitätspflicht, derer sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegenüber ihrem Dienstherren verpflichten. Vom Arbeitsgericht Berlin bekam die Uni zunächst recht. Das sei ein »großer Fehler des erstinstanzlichen Urteils« gewesen, bemängelte Niemerg vor dem Landesarbeitsgericht, das sich des Falls nach Berufung angenommen hatte. Es gehe um »strukturelle Zusammenhänge« mit klarem Sachbezug, nicht um eine persönliche Diffamierung des Präsidiums.
Tatsächlich zahle die Uni einige Entgeltbestandteile geltender Tarifverträge erst verspätet und habe Reinigungsarbeiten an Dienstleister mit schlechterem Tarifvertrag und mit hohem Anteil migrantischer Beschäftigter ausgelagert, erklärte die Kammer und bestätigte damit die Aussagen der Betriebsgruppe. Vor diesem Hintergrund sei die Grenze zur Schmähung nicht überschritten, die Ansicht der Betriebsgruppe sei von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Erfreut zeigten sich S. und seine Kollegen nach dem Termin. »Wenn der Tarifvertrag nicht eingehalten wird, kann man das als einen Angriff auf die Gewerkschaft werten«, sagte S. gegenüber jW. Das helfe nur den Rechten. Zu Kollegen, die nach rechts tendieren, sage er immer: Wenn man im öffentlichen Dienst arbeitet, hat man »eigentlich keinen Grund, an der Rechtsstaatlichkeit zu zweifeln« und etwa die AfD zu wählen. Schließlich werde man gut und nach Tarif bezahlt. »Das Argument greift aber nicht, wenn der Tarifvertrag nicht eingehalten wird«, beanstandete S. folgerichtig. Nach dem Urteil hoffe er auf Besserung der Zustände an der FU.
Widerspruch kam vom Anwalt der Uni: Diese sehe die Grenze zur Schmähkritik nach wie vor »deutlich überschritten«. Die Nichteinhaltung von Tarifverträgen sei in Deutschland keine Ausnahme, sondern eher die Regel – daraus ließen sich die gemachten Vorwürfe aber nicht ableiten. Sonst könnte man die Behauptungen »gegen jeden Arbeitgeber äußern«, so der Anwalt. Wohl wahr.
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