Demokratietheater am Nil
Von Jakob Reimann
Das Theater geht in die nächste Runde: Am Montag und Dienstag waren zunächst rund 35 Millionen Ägypter aufgerufen, das Parlament neu zu wählen. In der ersten Phase wurde in 14 der 27 Provinzen abgestimmt, insgesamt 1.281 Kandidaten treten an. Die Ergebnisse werden am 18. November erwartet. Die zweite Wahlrunde in den verbleibenden Provinzen soll nächste Woche beginnen. Auslandsägypter konnten ihre Stimme bereits zuvor abgeben. Nach Angaben der Nationalen Wahlbehörde verfügt Ägypten über rund 69 Millionen registrierte Wählerinnen und Wähler. Laut ihrem Sprecher habe die erste Phase eine »hohe Wahlbeteiligung« verzeichnet, ohne jedoch genaue Zahlen zu nennen, berichtete Anadolu unter Berufung auf die staatliche Nachrichtenagentur MENA.
Die Wahlen zum Senat, dem 300 Sitze zählenden Oberhaus im ägyptischen Zweikammersystem, fanden bereits im August statt. Zwei Drittel davon werden gewählt – geteilt zwischen Direktwahl und Abstimmung über Parteilisten –, über ein intransparentes System werden 100 weitere Senatssitze direkt vom Präsidenten ernannt. Die »Partei der Zukunft der Nation« von Staatschef Abdel Fattah Al-Sisi konnte bei den direkt gewählten Kandidaten mit 102 die meisten Sitze gewinnen. Als einziger Listenblock trat die »Nationale Liste für das Wohl Ägyptens« um Al-Sisi an und erhielt automatisch alle 100 Sitze. Aufgrund staatlicher Repression, dem Fehlen echter Oppositionsparteien oder unabhängiger Kandidaten und der Resignation in einem zunehmend autoritär regierten politischen System lag die Wahlbeteiligung bei nur 17 Prozent.
Mit seinen 596 Sitzen gehört das ägyptische Unterhaus zu den größten Parlamenten der Welt, nur knapp hinter dem Bundestag. Die Sitze werden für fünf Jahre und über einen Mix aus Direkt- und Listenwahl bestimmt, auch hier ernennt der Präsident 28 Abgeordnete. Das Parlament befindet sich in der neuen, noch namenlosen Hauptstadt, in die sich die Eliten des Landes geflohen haben, um dem Elend in Kairo zu entfliehen. Die »Neue Verwaltungshauptstadt« befindet sich rund 50 Kilometer östlich der explodierenden Metropole und gilt als eines von Al-Sisis Megaprojekten für die reiche und mächtige Oberschicht des Landes. Vor allem frisst es staatliche Ressourcen auf, während Kairo in Armut und Vernachlässigung versinkt. Finanziert werden die Leuchtturmprojekte auf Pump, was die chronisch krisengeplagte ägyptische Volkswirtschaft immer tiefer in die Schuldenfalle treibt. Der in der neuen Hauptstadt geplante Wolkenkratzer Oblisco Capitale soll mit chinesischen Krediten finanziert werden. Mit einer Höhe von 1.000 Metern würde er den Burdsch Chalifa in Dubai überragen und so das höchste Gebäude der Welt werden.
Auch wenn der aktuellen Abstimmung mit Blick auf Al-Sisis Zukunft eine gewisse Relevanz zugeschrieben werden muss, gelten die Parlamentswahlen weithin als Scheinveranstaltung. 2030 endet die dritte und laut Verfassung letzte Amtszeit des Generals, der sich 2013 an die Macht putschte. Dem neuen Parlament kommt damit entweder die Aufgabe zu, Al-Sisis Herrschaft über eine Verfassungsänderung zu erhalten, oder eine politische Transition einzuleiten. Faktisch haben beide Kammern kaum Befugnisse und Macht, die Politik des Landes wird per Dekret diktiert.
Al-Sisis Militärherrschaft gründet sich auch weiterhin auf Notstandsrecht und neoliberaler Zentralplanung, die von einem brutalen Sicherheitsapparat gestützt wird. Politische Konkurrenten werden im Vorfeld von Wahlen ausgeschaltet oder inhaftiert, und Regierungsnähe ist Voraussetzung, überhaupt kandidieren zu dürfen. Viele Oppositionsparteien sind seit Jahren verboten oder extremer staatlicher Einschüchterung ausgesetzt. Besonders linke, liberale und islamistische Politiker sitzen im Gefängnis oder leben unter ständiger Überwachung.
Im Vorfeld der Parlamentswahlen wurde mehreren Oppositionspolitikern die Kandidatur verwehrt. So ließ die Nationale Wahlbehörde Kandidaten der Sozialistischen Volksallianz nicht zu, was vom höchsten Verwaltungsgericht bestätigt wurde. Der Sozialist und frühere Abgeordnete Haitham Al-Hariri aus Alexandria kritisierte gegenüber dem unabhängigen Onlinemedium Mada Masr: Durch diese Willkürentscheidung sei ihm »sein verfassungsmäßiges Recht, bei künftigen Wahlen zu kandidieren, ohne Grund oder Rechtfertigung« aberkannt worden.
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