Ärztepaar sucht kleinere Wohnung
Von Luca von Ludwig
Gut fünfzig Leute saßen am Dienstag morgen dicht gedrängt in einem Saal des Berliner Amtsgerichts. Bei ihnen handelte es sich um Mitglieder und Unterstützer der »Mieter*innengewerkschaft Berlin« (MGB), und die wiederum hatte zur kritischen Begleitung eines Gerichtsprozesses aufgerufen, bei dem einer Mieterin der Verlust ihrer Wohnung droht – die Käufer hätten Eigenbedarf.
Eigenbedarfskündigungen gibt es im Land zuhauf; die Praxis hat sich als effektiv erwiesen, um Mieter aus ihren Wohnungen herauszubekommen. Beim Prozess am Dienstag ging es konkret um eine Wohnung im Prenzlauer Berg. Zwei Zimmer, weniger als 80 Quadratmeter, beschrieb die bisherige Mieterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, am Dienstag gegenüber jW. 2023 sei die Sozialbindung ausgelaufen. Bald darauf habe es erste Besichtigungen gegeben, schnell war die Wohnung verkauft, die zuvor noch mit öffentlichen Geldern saniert worden sei. Selbes Spiel bei den restlichen sechs Wohneinheiten im Haus. Nun gehört die Wohnung einem Bochumer Ärztepaar, welches sie für sich beansprucht.
In der ersten Anhörung sollte die Ehefrau des Käuferpaares den Eigenbedarf glaubhaft machen. Zu argumentieren, ein Interesse daran zu haben, im recht betagten Alter aus einem Zweifamilienhaus in Bochum – sechs Zimmer, Garten, 140 Quadratmeter – in die relativ bescheidene Berliner Wohnung umziehen zu wollen, war wohl keine leichte Aufgabe. Durch besondere Dreistigkeit stach die Aussage heraus, die Unterstützung durch die MGB zeige doch, dass die Mieterin sozial gut vernetzt sei und es ihr deswegen leichter fallen müsste, eine neue Bleibe zu finden. Allgemeines Gelächter im Saal; die Aktivisten organisieren sich ja gerade wegen der Wohnungsnot. Auch eine Erzählung darüber, warum sie den ersten Besichtigungstermin verpasst hatte, obwohl sie extra nach Berlin gefahren war, konnte nicht so recht überzeugen. Solcherlei Ungereimtheiten sind bei Eigenbedarfsprozessen jedoch keine Seltenheit, und man darf bezweifeln, dass sie am Ende dazu führen werden, dass die bisherige Mieterin ihre Bleibe behalten kann.
10.000 Eigenbedarfskündigungen gibt es laut der MGB jährlich in der Hauptstadt, mehr als 200.000 schätzungsweise bundesweit. Im Regelfall wird zugunsten der Hauseigentümer entschieden. Zusätzlich zu einer relativ laxen Rechtslage verfügen diese meistens über mehr finanzielle Mittel und selbst über eine sichere Bleibe. Aaron Pfeiffer von der MGB sprach gegenüber jW von einem »asymmetrischen Machtverhältnis«, die Eigenbedarfskündigungen seien eine Form von »Klassenkampf«. Die bisherige Bewohnerin sagte im jW-Gespräch, durch den Verlust des Rückzugsortes werde Mietern »Gewalt angetan«. Ferner verwies sie auf die Wichtigkeit gegenseitiger Unterstützung im Kampf um das Wohnen. »Ohne Praxis von unten« könne man dem System des Rausschmisses durch Eigenbedarf »nicht beikommen«.
Bis auf weiteres wird sich der Prozess aber noch in die Länge ziehen. Ein Folgetermin ist erst für den Januar angesetzt, und das wiederholte Vernehmen von Zeugen kann sich erfahrungsgemäß noch über mehrere Gerichtstage erstrecken.
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