Ein Vakuum zu füllen
Von Daniel Bratanovic
Die deutsche Sozialdemokratie der Gegenwart ist eine dreigeteilte. Sie hat schon bessere Tage erlebt. Zusammengerechnet erreichen SPD, Linke und BSW einen Wählerzuspruch von etwa 30 Prozent. Bei den Bundestagswahlen 2025 kamen alle drei Parteien in der Summe auf rund 15 Millionen Stimmen, das sind gut drei Millionen weniger als allein die SPD im Jahr 2002 noch auf sich vereinigen konnte.
Die Staatspartei SPD könnte am Widerspruch, das antagonistische Verhältnis von Arbeit und Kapital immer wieder aufs neue zu versöhnen, endgültig zerrieben werden. Die Linke, schon totgesagt, verdankt ihren Wiederaufstieg nicht zuletzt einer Klientel, die, genauer besehen, jenseits des sozialdemokratischen Milieus liegt: 700.000 Wähler wanderten von den Grünen hinüber. Das hat Auswirkungen auf Profil und Politik der Partei. Das BSW wiederum scheiterte – eingeschränkte und kontrollierte Mitgliederaufnahme, frühe Beteiligung an Landesregierungen, widersprüchlicher, nämlich mal nach rechts, mal nach links blinkender Wahlkampf fallen als Gründe ein – knapp am Einzug in den Bundestag und droht, kaum emporgestiegen, in der Versenkung zu verschwinden.
Jetzt stellt sich die Partei neu auf. Novellierter Name, erneuerte Führung – aber auch ein reformiertes Programm? Die geänderte Bedeutung hinter dem Kürzel BSW zeigt zwar den Übergang von der Konzentration auf die Person hin zur Betonung der Absichten und Zwecke an, doch eine Richtungsänderung scheint damit nicht auf. Wer sich fortan »Bündnis für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft« nennt, will immerhin die soziale Frage wieder ins Zentrum der Politik rücken, appelliert aber zugleich an die Interessen des mittelständischen Unternehmers am Standort Deutschland. Wie dieser Widerspruch zu lösen ist, wird sicher die künftig von Sahra Wagenknecht geleitete Grundwertekommission des BSW herauszufinden versuchen.
Präsentiert die Partei mit ihrer Variante von Sozialpartnerschaft noch eine inhaltliche Parallele zur alten Sozialdemokratie, steht sie mit ihren Positionen zur Außen- und Militärpolitik in markanter Gegnerschaft zur aufrüstungsbeflissenen »Kanonen und vielleicht noch ein bisschen Butter«-Politik der SPD. Mit der Haltung gegen Militarisierung und Waffenschwemme in die Ukraine besitzt das BSW ein Alleinstellungsmerkmal, auch gegenüber der Linkspartei, die sich in dieser Frage am liebsten wegduckt.
Darauf ließe sich aufbauen, vorausgesetzt, die Partei unterlässt es fürderhin, aus wahltaktischem Opportunismus in manchen Fragen wie die AfD zu klingen. Denn die Absicht, der irgendwo zwischen neoliberal und neofaschistisch changierenden Partei auf diese Weise das Wasser abzugraben, muss als gescheitert betrachtet werden. Dies berücksichtigt, könnte das Bündnis das Vakuum füllen, das vor allem die SPD hinterlassen hat. Mehr darf man von einer Partei, der das Koordinatensystem Links-Rechts erklärtermaßen nichts mehr gilt, nicht erwarten. Aber auch nicht weniger.
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Leserbrief von Walter Lambrecht aus Rostock (12. November 2025 um 11:25 Uhr)Im Kommentar zum BSW wird als schwer lösbarer Widerspruch definiert, die soziale Frage mit den Interessen der mittelständischen Wirtschaft zu vermitteln; im Rotlicht wird das Scheitern der Nachkriegs-SPD dabei beschrieben, von sozialistischen Positionen aus die Mitte einzubeziehen. Da aber liegt der Hund begraben, dass eine sozialistische Strategie, beim Marxismus bleibend, eine Politik entwickeln muss, die die »Mittelklassen« wie Intelligenz und Kleinbürgertum vom Großkapital entfremdet, weil dieses mit seinen imperialen Interessen deren Notwendigkeiten nicht bedient. Eine Friedensbewegung etwa kann anders nicht erfolgreich sein. Früher nannte man das z.B. »antimonopolistische Strategie«, heute scheint es keine Kraft mehr zu geben, die solche Strategien aktualisieren und popularisieren kann. Da nun alle marxistischen Kräfte am Boden sind, könnten sie es ja evtl. mit vertiefter Zusammen- und Theoriearbeit versuchen statt mit immer kleineren Neugründungen und Beharren auf dem eigenen Gewohnten.
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Leserbrief von Kora Brandner aus Elsteraue (12. November 2025 um 11:23 Uhr)In der jW vom 12. November 2025 wird über das BSW philosophiert, in welche Lücke es nun passt. Wir werden es wohl merken. Allein, wenn es das BSW schaffen würde, die Menschen davon zu überzeugen, dass Waffengewalt keinen Frieden bringt und die Bevölkerung davon abhält, wie die Lemminge der Aufrüstungspolitik der Regierung zu folgen, dann hätte es schon viel erreicht. Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik kann man nur im Frieden verbessern. Alles andere bedeutet Zerstörung.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. November 2025 um 21:48 Uhr)Anknüpfend an die Frage, »Wat is en Dampfmaschin?« stelle mehr uns janz dumm und fraje, wat is en Koordinatensystem. Da jibt de kinstlische Intelljenz de Antwort: Ein (zweidimensinales) Koordinatensystem ist ein System zur eindeutigen Beschreibung von Punkten mithilfe von Zahlen. Mein Jott Walter, äh, Daniel, der Nullpunkt wird auch noch willkürlich gewählt. Die erste Koordinate auch, die zweite »steht« (für gewöhnlich) senkrecht darauf. Wo ist da rechts und links? Oben und unten ließe sich noch erklären, wenn man eine dritte Koordinate senkrecht auf die Ebene, die die zwei ursprünglichen Koordinaten aufspannen, stellt. Also, Butter bei die Fische: Wir nehmen einen leeren Halbraum, definieren ihn als »links« (der andere Halbraum ist entsprechend nicht links) und füllen ihn mit Begriffen, Argumenten, Bezeichnungen, …, die wir für »links« halten und eröffnen eine Debatte, ob andere diese Menge auch als »links« betrachten. Das finale Zitat: Schau mer mal, dann sehn mer scho.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Jörg U. aus Lichtenau (11. November 2025 um 21:06 Uhr)Das Rechts-Links-Koordinatensystem trägt eher zur Verwirrung als zur Analyse bei. Ich bevorzuge die Charakterisierung der Teile der politischen Kaste in antikommunistisch, nichtkommunistisch und kommunistisch, klärbar entlang der Bereiche: Wer hat die Macht, den Ausnahmezustand zu erklären und durchzusetzen, wer ist Haupteigentümer, wie ist das Verhältnis und warum zu Krieg und Frieden. Wer die deutsche Staatsräson bedient, sowohl zum Narrativ des »völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Banderaukraine« als auch zum Genozid in Palästina, ist eindeutig auf der anderen Seite der Barrikade verortbar. Sahra ist nicht Rosa.
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